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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille
Autoren: Georges Simenon
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gar nicht vorgestellt … Georges Bodet, stellvertretender Administrator von Niangara, in Belgisch-Kongo …«
    »Ich kenne den Ort …«
    »Was, Sie kennen Niangara? Hast du gehört, Georges?«
    Dies war ihr erstes »Hast du gehört, Georges?«, das ihm bald bis zum Überdruß in den Ohren klingen sollte.
    Das Auto der Imperial Airways brachte sie zu einem Grand Hotel, wo die kleine Person eifrig auf ihn einredete:
    »Macht es Ihnen nichts aus, wenn wir zusammen an einem Tisch essen? Hier sind nur Engländer, und wir sprechen kein Englisch … Können Sie denn Englisch?«
    »Ja.«
    Sein einfaches Ja schien sie sehr zu beeindrucken.
    »Hast du gehört, Georges? Ich habe dir immer gesagt, du solltest Englisch lernen …«
    Armer Georges! Jedesmal wenn sie ihn so anrief, zog er die Brauen zusammen, senkte den Blick, vermied es zu antworten.
    Georges war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, hatte hellblondes Haar, und sein Gesicht wirkte schon aufgedunsen. Er hatte drei Jahre im Kongo gearbeitet, in Matadi, und während seines ersten Urlaubs hatte er geheiratet.
    »Was, du trinkst schon wieder, Georges!«
    Er trank viel, das stimmte, eine Halbe Bier um die andere, von denen er schläfrig wurde.
    »Was machen wir heute abend? Gehen wir in die Eingeborenenviertel? Was meinen Sie, Monsieur Ferdinand …«
     
    Seither waren erst vierundzwanzig Stunden verstrichen. Dennoch nannte sie ihn bereits nicht mehr Monsieur Ferdinand, sondern einfach bei seinem Vornamen.
    »Sagen Sie ruhig Yette zu mir. Ich heiße Henriette, aber alle Welt nennt mich Yette … Wissen Sie, ich rede immer frei von der Leber weg … Ich bin im 4. Arrondissement geboren, zwischen der Place de la République und der Bastille, am Boulevard Beaumarchais … Kennen Sie den? …«
    Inzwischen kannte er schon ihre ganze Familie, er wußte, daß ihr Vater Lagerverwalter bei den Magasins Réunis war, daß ihre Mutter aus Belgien stammte und daß sie Bodet kennengelernt hatte, als sie bei ihrer Großmutter in Charleroi zu Besuch war.
    Das alles wußte er, und doch war er am Abend nicht mit ihnen in Alexandrien ausgegangen. Er hatte es vorgezogen, zu Bett zu gehen, während die Bodets mit einem koptischen Fremdenführer durch mehr oder weniger übel beleumdete Viertel gezogen waren.
    Um zwei Uhr morgens begann das andere Leben: Als erstes klopften eingeborene Dienstboten an die Türen, dann begab man sich in den nur spärlich erleuchteten Speisesaal, wo etwa ein Dutzend Personen Spiegeleier mit Schinken und Marmeladenbrötchen verzehrten.
    »Was, alle diese Leute wollen in unser Flugzeug?« rief Yette mit durchdringender Stimme. »Ob die alle hineinpassen?«
    Sie war müde. Angewidert blickte sie auf die Spiegeleier, schob ihren Milchkaffee zur Seite.
    »Das ist ja Kondensmilch!«
    Die anderen Gäste, alles Engländer, sagten kein Wort, aßen systematisch ihre Teller leer.
    »Ich begreife nicht, wie man um zwei Uhr morgens solche Mengen verschlingen kann!«
    Es kam ihr nicht in den Sinn, leiser zu sprechen, denn sie war davon überzeugt, daß diese Ausländer sie nicht verstanden.
    Der Autobus im Dunkeln … Der Flugplatz …
    »Sehen Sie zu, daß Sie in die Mitte der Maschine zu sitzen kommen«, hatte Ferdinand Graux ihnen geraten.
    »Hast du gehört, Georges?«
    Und schon drängelte sie sich an den Passagieren vorbei. Eben begann der Tag zu grauen. Der Motor lief noch nicht.
    »Georges, hast du gesehen, wie Ferdinand angezogen ist?«
    Seine Kleidung war eine Offenbarung für sie. Bislang hatte sie Graux nur in einem grauen Kammgarnanzug gesehen, in dem er, da er noch dazu Brillenträger war, recht unscheinbar wirkte.
    Doch an diesem Morgen war er genauso angezogen wie die Piloten der Imperial Airways: khakifarbene Shorts, die seine kräftigen Beine zur Geltung brachten, ein Armeehemd und eine kurzärmelige Jacke.
    »Warum ziehst du dich nicht auch so an? Das ist viel praktischer und wird nicht so schnell schmutzig …«
    »Graux ist sein eigener Herr, verstehst du?«
    Das Ende seiner Antwort hatte sie nicht mehr mitbekommen, denn man hatte inzwischen den Motor angelassen. Die Radblöcke wurden entfernt. Sie klammerte sich schon jetzt an ihren Sitz.
    Ferdinand saß bequem zurückgelehnt in seiner Ecke, als befände er sich in einem Eisenbahnabteil, er nahm sich ein neues Buch vor, dessen Seiten er aufschnitt. Der Titel lautete: Überlegungen zur Planwirtschaft und zum Binnenhandel.
     
    Um sechs Uhr morgens landete die Maschine auf dem Kairoer Flughafen. Alle hatten
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