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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille
Autoren: Georges Simenon
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zu glauben, daß es erst der dritte Reisetag war. Die neun Engländer waren unzertrennliche Freunde geworden. Dann und wann versprach sich Yette und duzte Graux.
    Die Augen schmerzten. Essen wurde zu einer mühsamen Pflichtübung. Georges Bodet hatte sich nicht rasiert.
    Die Reise wurde in einem Wasserflugzeug fortgesetzt, denn nun flogen sie dicht über den eindrucksvollen, glitzernden Wasserflächen des Nils südwärts.
    »So habe ich mir Afrika nicht vorgestellt!« sagte Yette. »Wir haben ja kaum Neger gesehen …«
    »Keine Sorge, das kommt schon noch!«
    »Heute abend erreichen wir Juba, nicht wahr?«
    »Dem Fahrplan zufolge schon. Aber für gewöhnlich muß man wegen irgendeines Zwischenfalls in Malakal übernachten … Dort werden wir in Armeebaracken untergebracht …«
    »Alle zusammen in einem Raum?«
    »Nein, Sie beide bekommen sicher ein eigenes Zimmer …«
    Der Ehemann war natürlich eifersüchtig! Zwar hatte auch er in Afrika gelebt, aber das zählte für seine Frau überhaupt nicht. Sie richtete ihre Fragen ausschließlich an Ferdinand Graux, nur was er sagte, zählte.
    »Hast du gehört, Georges?«
    Verdammt noch mal! Graux war sein eigener Herr! Graux war reich! Wenn er drei Jahre lang als niederer Verwaltungsbeamter in Matadi Dienst getan hätte, ohne sich jemals auch nur zehn Kilometer weit von der Stadt entfernen zu können, fände sie ihn auch nicht so großartig!
    »Ich möchte seine Elefanten sehen … Und einen jungen Löwen hat er auch …«
    Georges zuckte die Achseln und machte ein böses Gesicht.
    Weitere Zwischenlandungen, halbstündige Aufenthalte, um Benzin zu tanken und Eßkörbe sowie Thermosflaschen mit abgestandenem Tee in Empfang zu nehmen …
    Die Nacht verbrachten sie in Malakal, wie Ferdinand es vorausgesehen hatte. Während des Abendessens lauschte er auf den Bericht des Piloten, der bei Tisch obenan saß.
    »Was sagt er?« fragte Yette, denn sie sah, daß alle sehr bewegt waren.
    »Moment … Es hat einen Unfall gegeben …«
    »Wo?«
    »Psst!«
    Dann erklärte er ihr:
    »Heute nacht ist ein Flugzeug im Busch verschwunden …«
    »Ein Flugzeug wie das unsere? Mit Passagieren?«
    »Nein, ein Privatflugzeug. Es gehört Lady Makinson. Sie befand sich zusammen mit einem Freund, Captain Philps, an Bord … Sie sind fast zur gleichen Zeit wie wir von Kairo abgeflogen …«
    »Wohin wollten sie?«
    »An die Uele-Quellen, etwa hundertfünfzig Kilometer von meiner Plantage … Dort befindet sich eine Elefantenfarm, die einem kauzigen Engländer gehört … Lady Makinson war bei ihm eingeladen … Das Flugzeug hätte gestern abend dort landen sollen, doch es wurde weder gesichtet noch mittels Funkzeichen geortet …«
    »Was brauchte sie auch mit einem Privatflugzeug zu fliegen?« schimpfte Yette.
    Den Engländern ging die Nachricht sehr nahe, und einer zog angesichts der Haltung der jungen Frau ärgerlich die Brauen zusammen, obwohl er nicht verstand, was sie sagte.
    Inzwischen war die Maschine repariert. Wecken um drei Uhr morgens, Frühstück, Tee, Watte in den Ohren, das Aufheulen des Motors …
    Die Wüste wirkte nun weniger zerklüftet, und gegen Mittag wurde sie von einer kahlen Savanne abgelöst, auf die sie von zweitausend Meter Höhe im Sturzflug zusteuerten.
    Yette hatte Angst. Graux, der sich ihr nicht verständlich machen konnte, deutete auf das Fenster. Sie klammerte sich ängstlich daran fest, während sie im Tiefflug über Giraffen- und Antilopenherden hinwegrasten.
    Eine Stunde später schreckte das Flugzeug auf dieselbe Art ein Rudel Elefanten auf, die die Flucht ergriffen. Graux sah kaum hin.
    Yette bewunderte ihn mehr und mehr. Er bewahrte stets seine Ruhe, und hinter seiner Brille blickten seine kurzsichtigen Augen mit unerschütterlicher Gelassenheit in die Welt.
    »Die Schwarzen nennen mich Mundele na Talatala …« ,hatte er ihr anvertraut. »Sie werden auch Ihren Spitznamen bekommen. Jeder hat einen …«
    »Was bedeutet denn der Ihre?«
    »Weißer Mann mit Brille …«
    »Hast du gehört, Georges? Und was ist mit dir, wie nennen sie denn dich?«
    Sie zupfte ihn am Ohrläppchen, und er brummelte:
    »Der Mann, der immer Durst hat …«
    Aber Graux hatte nicht die ganze Wahrheit gesagt. In Wirklichkeit geben die Eingeborenen jedem Ausländer zwei Übernamen. Der erste, der nicht beleidigend ist, kann in seiner Gegenwart ausgesprochen werden. Mit dem zweiten betiteln ihn die Schwarzen nur, wenn sie unter sich sind, denn er drückt die Vorstellung, die sie sich
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