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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille
Autoren: Georges Simenon
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gesetzt?« fuhr Costemans fort.
    »Aber ich weiß doch von nichts! Ich komme gerade von Ihrem Haus. Ihre Frau hat mir etwas von ihrem Zimmer aus zugerufen …«
    Das war ihm sichtlich unangenehm:
    »Sie haben sie geweckt! Wirklich zu dumm! Sie hat die ganze Nacht kein Auge zugetan!«
    Unvermittelt riß Emilienne den Mund auf, hätte beinahe geschrieen, unterdrückte aber ihre Regung sofort, ohne den Grund dafür zu wissen. Ihr Blick war eben auf einen Tisch gefallen, den man in eine Ecke geschoben hatte. Und auf diesem Tisch lag eine menschliche Form, die von einem Laken verhüllt wurde.
    »Was ist das?« stieß sie hervor.
    »Georges Bodet … Setzen Sie sich … Wollen Sie nicht etwas zu sich nehmen? Leider steht uns kein anderer Raum zur Verfügung, um Sie zu empfangen …«
    »Was ist mit Yette?«
    »Hochwürden meint, daß sie vielleicht mit dem Leben davonkommt … Der Doktor ist natürlich mal wieder unterwegs …«
    Costemans nahm wieder an dem Tisch Platz, wo er vor Emiliennes Eintritt an der Abfassung eines Schriftstücks gearbeitet hatte, was aus den Papieren, der Feder und dem offenen Tintenfaß zu ersehen war.
    »Die Tragödie spielte sich gestern morgen ab. Genauer gesagt, gestern morgen haben wir sie entdeckt. Wenn ich in der Lage gewesen wäre, Sie zu benachrichtigen, hätte ich es getan, denn Ihre Aussage ist für uns von großem Wert. Aber ich wußte ja, daß Sie heute kommen würden.«
    Der Pater zog an seiner dicken Meerschaumpfeife, und sie fragte sich unwillkürlich, ob die rote Färbung seines grauen Bartes nicht vom Tabak herrührte.
    »Um sechs Uhr war Bodet nicht im Büro erschienen … Um halb sieben habe ich einen eingeborenen Angestellten ausgeschickt, um ihn zu holen … Ich kann Ihnen auch meinen Bericht vorlesen …«
    »Georges Bodets Leiche lag am Boden neben dem Bett«, fuhr er fort, wobei er unnötigerweise in seine Papiere blickte. »Ein Revolver Marke Herstall, Kaliber 6,35 mm, befand sich neben seiner rechten Hand. Auf dem Bett die stöhnende Henriette Bodet, deren linke Wange von einer Kugel durchschossen war …«
    Als gewissenhafter Beamter ging Costemans bis ins kleinste Detail.
    »Ihr Boy war nicht da. Wir haben ihn überall gesucht, denn seine Abwesenheit schien uns verdächtig. Doch gestern abend wurde er im Busch gefunden, wohin er sich in seiner Angst geflüchtet hatte.«
    Costemans blickte finster drein.
    »Ich habe nach Stanleyville gekabelt, um die Verantwortung nicht ganz allein zu tragen. Sie wissen ja, daß ich hier die Befugnisse eines Richters habe, aber in diesem Fall wäre es mir lieber, daß ein anderer mit dieser Sache betraut wird. Um jedem gehässigen Kommentar vorzubeugen, habe ich Pater Julien gebeten, mir zur Seite zu stehen und auch das Protokoll gegenzuzeichnen.«
    Emilienne wagte nicht, sich dem Tisch zuzuwenden, auf der die Leiche lag.
    »Ist Yette in ihrem Zimmer?« fragte sie.
    »Ja. Sie können gleich zu ihr gehen. Die Kugel ist durch den Nacken ausgetreten, und im Laufe des Abends ist sie wieder zu Bewußtsein gekommen.«
    »Hat sie nichts gesagt? …«
    »Meine Frau behauptet, in der Nacht drei Schüsse gehört zu haben, aber da sie kein Licht gemacht hat, kann sie den genauen Zeitpunkt nicht angeben. Sie dachte, jemand habe auf ein Nachttier geschossen, was hier recht häufig vorkommt. Aber ich habe vergeblich nach der dritten Kugel gesucht. Es ist durchaus möglich, daß Bodet, nachdem er auf seine Frau geschossen hatte, einen ersten Versuch machte, sich zu erschießen, und die Kugel durch die Barza ins Freie gedrungen ist. Allerdings haben wir drei Patronenhülsen gefunden.«
    Er deutete auf eine kleine, mit Wachs versiegelte Schachtel auf dem Tisch.
    »Ich weiß, daß die Bodets Sie ins Vertrauen gezogen haben. Wollen Sie eine Aussage machen, die ich mitschreibe und die Sie dann unterzeichnen?«
    Als sie ihn unschlüssig ansah, sagte er:
    »Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich Ihnen Fragen stelle?«
    Der Missionar rauchte immer noch. Stumm eilten einige Schwarze auf dem Weg vorüber, warfen verstörte Blicke auf das Haus.
    »Ich beginne mit den üblichen Fragen. Haben Sie bemerkt, daß es beim Ehepaar Bodet Streitigkeiten gab?«
    Sie nickte, dann überlegte sie es sich anders, wollte reden, fand keinen Anfang. Wie sollte sie nur ihre Gedanken in Worte fassen?
    »Hat Henriette Bodet in Ihrem Beisein geäußert, daß ihr Mann sie mit dem Tod bedrohe?«
    Ja! Ja! Sie nickte mehrmals, nur um es hinter sich zu bringen, obwohl diese Fragen die
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