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Weil du fehlst (German Edition)

Weil du fehlst (German Edition)

Titel: Weil du fehlst (German Edition)
Autoren: Jana Frey
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zugehört hatte, lächelte mir zu. »Du kommst zum Poetry Slam heute Abend?«
    Ich nickte. »Du auch?«
    Selma nickte jetzt ebenfalls. »Ich liebe diese Veranstaltung. The point is not the points, the point is the poetry !«
    Das klang schön. Der springende Punkt sind nicht die Punkte, sondern die Poesie.
    »Kennst du übrigens Mr Walenta schon?«
    Warum fragten das bloß alle?
    Zehn Minuten später kannte ich ihn.
    »Ist er nicht süß?«, flüsterte Mercedes, eine Freundin von Selma, seufzend. »Sein Vorname ist Luke. Weich gesprochen. Luuke …«
    Sie lächelte sehnsüchtig, aber etwas scheu in Mr Walentas Richtung. Selma dagegen war weniger zurückhaltend.
    »Komm schon. Oder willst du hier festwachsen?«, sagte sie ungeduldig und zupfte mich am Pulliärmel. »Mr Walenta, darf ich vorstellen? Das ist Kassandra Armadillo. Sie ist neu an der Schule und überlegt, der Theater-AG beizutreten.«
    Luke Walenta drehte sich zu mir um.
    »Einen Moment, bitte …«
    Er lächelte und – okay – da begriff ich, was sie alle hatten. Er sah wirklich gut aus. Und noch sehr jung. Seine Haare waren schwarz und zerwühlt und er hatte dieses gewisse Etwas, was manche eben haben und andere nicht. Ich fand nicht, dass er wie Brad Pitt aussah, aber er hatte ein sehr einnehmendes Lächeln und große, sehr dunkle Augen. Ein bisschen erinnerten sie mich an Sergios Augen auf Stromboli. Große, sehr offene Augen, unter denen diese Art von Schatten liegen, die sehr sexy aussehen können. Tiefgründig, ein bisschen müde oder erschöpft, aber eben auch faszinierend.
    In diesem Moment ging er mit großen Schritten über die aufgebaute Bühne. Der Boden knarrte unter seinen Füßen, Mr Walenta rannte los, sprang, hielt jäh inne, sank auf die Knie, schlug mit den Fäusten auf die Holzdielen, immer wieder, dann rollte er auf den Rücken, blieb mit geschlossenen Augen liegen.
    »Bewegt euch beim Sprechen, bei eurer Poesie«, sagte er, ohne sich zu rühren. »Flüstert. Schreit. Stöhnt. Flucht. Jault. Lebt sie.«
    Er machte es uns vor. Er flüsterte, schrie, stöhnte, fluchte und jaulte seine Vorschläge.
    »Eine Null gibt es für ein Gedicht, das nie hätte geschrieben werden dürfen«, zitierte Selma leise, »eine Zehn für ein Gedicht, das einen kollektiven Orgasmus im Publikum auslöst.«
    Ich sah sie überrascht an.
    »Ist nicht von mir«, fuhr Selma grinsend fort. »Sondern ein Zitat, das Mr Walenta ins letzte Poetry-Slam-Programmheft geschrieben hat. – Hat einen ziemlichen Skandal ausgelöst. Das Wort Orgasmus ist sozusagen ein Unwort. Mr Shoemaker, unser Schulleiter, hat einen Mordszirkus deswegen veranstaltet. Wir dachten schon, er würde Mr Walenta feuern, oder so.«
    »Er ist so scharf«, flüsterte Mercedes mir zu. »Findest du nicht auch, Kassandra?«
    Zu einer Antwort kam ich nicht mehr, denn Luke Walenta, der auch Oya Stunden in Bildhauerei gab, war aufgesprungen, kam zu uns herüber und reichte mir die Hand. Ich konnte hören, wie Mercedes neben mir die Luft anhielt.
    »Ich freu mich, Kassandra«, sagte Mr Walenta. Mehr nicht.

    Am Abend war das Auditorium voller Poetry-Fans. Die Luft roch nach Anspannung, Vorfreude, Karamellpopcorn, Schweiß, Deodorants.
    Darius war nicht gekommen.
    »Sorry, Kassandra. Sonst immer, aber heute Abend spielen die Red Sox . Ein verdammt wichtiges Spiel. Dagegen hat Mr Walentas Club der Dichter echt das Nachsehen.«
    Darius war ein großer Baseballfan.
    Auch Oya war nicht mitgekommen. Sie traf sich mit Brendan.
    »Mit Brendan?«, hatte ich gefragt und ihr einen überraschten Blick zugeworfen.
    »Er will nach der Schule Astrophysik studieren«, erklärte Oya achselzuckend, fütterte Billyboy und verließ das Haus.
    Rabea war mit einem Angestellten des Finanzausschusses der anglikanischen Kirche ausgegangen.
    »Was willst du denn mit einem Kirchenfuzzi?«, hatte Oya mittags misstrauisch gefragt. Aber Rabea hatte nur murmelnd erklärt, dass es immer noch um diesen Malauftrag in der psychiatrischen Abteilung des städtischen Krankenhauses ging. Sie sah elend aus, hatte dunkle Schatten unter den Augen.
    »Was hat sie nur in der letzten Zeit?«, überlegte Oya.

    Der Poetry Slam begann, Selma, Mercedes und ich saßen auf dem Boden vor der ersten Reihe, zusammen mit ein paar Leuten der Theater-AG.
    »Da ist ja auch Mr Rosen«, flüsterte Selma mir zu. »Mit seiner Frau. Sie hat bis letztes Jahr Philosophie und Mathematik unterrichtet, aber jetzt hat sie ein Baby.«
    Die Rosens hatten uns
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