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Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
Autoren: Uwe Friedrichsen , Ursula Richter
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plötzlich einen richtigen Rodelschlitten zu besitzen, andererseits aber wußte ich nicht recht, was Vater, der sich doch soviel Mühe mit dem Bauen gemacht hatte, dazu sagen würde.
    Aber Vater ließ sich nichts anmerken. «Vielleicht waren die Bretter und Leisten, die ich verwendet habe, doch etwas zu schwach», meinte er mit Blick auf den Rodelschlitten, den mir der dicke junge überlassen hatte.
    Ich war überglücklich und konnte mich erst jetzt wirklich freuen.
    Übrigens, den dicken Jungen habe ich nie wiedergesehen. Vielleicht war es ein verkleideter Weihnachtsengel.

    Arnim Kerschke

Der dänische Weihnachtsmann

    «Weihnachten ist nahe! Vadder muß wieder auf den Dachboden!» so flachste mein Sohn, nachdem meine Frau mich schon zum wiederholten Male ermahnt hatte, ja endlich den Weihnachtsbaumständer und den Weihnachtsbaumschmuck aus der Dachbodenabseite zu holen.
    Alle Jahre wieder! Stöhnend und ächzend zwängte ich mich durch die schmale Abseitentür, die Hand suchte den Lichtschalter, ein Blitz, die Birne war durchgebrannt. Auch das noch! Aber ich wußte ja, wo die Kisten standen. Vorsichtig tastete die Hand im Dunkeln, faßte einen Karton, zog ihn heraus und langsam zurück in die Bodenkammer. Aber was hatte ich da erwischt? Das war nicht der Karton mit dem Weihnachtsschmuck. Neugierig löste ich die Schleife des alten Sackbands, hob den Deckel und ein überraschtes «Oh» kam von meinen Lippen. 40 Jahre Jugendträume:
    Teile einer alten Dampfmaschine, eine Schleuder aus altem Fahrradschlauch, ausgeblasene Vogeleier, Bleisoldaten der Wehrmachtszeit, Kriegsschiffmodelle und ein kleines, gelbes Holzauto. Ich setzte mich auf den Fußboden, nahm die Schleuder heraus, probierte, das Gummi war porös und brach. Das Silbermöwenei! Ein Gesicht tauchte auf: Blond, voller Sommersprossen, Ole Peddersen! «Du, Arni, essen!» Viel mehr Deutsch konnte er nicht, ich kaum Dänisch. Krächzendes Möwengeschrei über uns, Oles Stock über dem Kopf wehrte die Angreifer ab, die voller Wut auf den Stock herabstießen. Wie sollte ich essen? Ole gab mir den Stock, nahm das Möwenei aus dem Nest, ein Loch mit dem Messer auf jeder Eiseite, ein schlürfendes Ziehen. «Oh!» Wann hatte ich je etwas Aufregenderes gegessen?
    Wie eine Reliquie legte ich das Ei zurück und griff nach dem gelben Auto. Neue Gesichter lösten sich aus der Erinnerung: Onkel Peddersen! Klein, dick, immer schwitzend, ein Haarkranz um den fast kahlen Kopf. Greta! Blondes, langes Haar, strahlend blaue Augen; so sahen für mich die Engel aus.
    Im Februar 1945 waren wir in das kleine dänische Dorf bei Aalborg gekommen, geflüchtet über die Ostsee, heimatlos, dem Grauen des Krieges entkommen. Wir fühlten uns wie im Paradies. Und hier? Eindringlinge. Geduldete, mit denen man nicht sprach und die man nicht ansah.
    Aber da waren die Peddersens: Ole, Greta, Frau und Herr Peddersen und drei oder vier Kinder. Sie hatten uns aufgenommen, meine Mutter, meine beiden Schwestern und mich, hatten uns eine Stube in ihrem Häuschen abgetreten, ließen uns teilnehmen an ihrem Leben. Ein deutscher Soldat hatte Gretas Herz gewonnen. Sie hatte sich mit ihm verlobt.
    Tage unbeschwerten Glücks, so schien es, mehr sah ich mit meinen sieben Jahren nicht. — Doch plötzlich war alles anders. Kapitulation! Ich begriff das Wort nicht. Mutter erklärte: Deutschland hatte den Krieg verloren. Für mich bedeutete das nur, ich durfte nicht mehr mit Ole spielen, durfte nicht raus in Onkel Peddersens Kohlenhof, nicht in den Stall, nicht an den Limfjord zum Angeln! — Draußen marschierten grölend Männer in blauen Uniformen vorbei, dänische Freiheitskämpfer, Steine flogen in Onkel Peddersens Fensterscheiben, Weinen drang an mein Ohr. «Hoffentlich kommen die Engländer bald und bringen uns ins Lager!» hörte ich Mutter flüstern. Und dann waren die Laster da, ich durfte nicht einmal Ole «Auf Wiedersehen» sagen.
    Als ich auf den Laster klettern wollte, brachten sie Greta heraus, stießen sie auf die Straße, kahlgeschoren, ein Schild um den Hals. Im Haus schrie Ole, Onkel Peddersen tobte, Frauen und Kinder schluchzten. — Ich riß mich los, rannte an den Männern vorbei, stürzte zu Gretas Füßen, krallte mich in ihr Kleid: «Greta, was machen sie mit dir?» Traurige Augen lächelten mich an, einen Augenblick lag ihre Hand auf meinem Kopf «Auf Wiedersehen, Arni! Geh schnell zu Mutti.» Dann traf mich ein Fußtritt, und Greta wurde auf die Straße geschubst, wo eine johlende
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