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Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
Autoren: Uwe Friedrichsen , Ursula Richter
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Menge sie empfing. Mich warfen kräftige Männerhände auf den Lastwagen. Viel später erst erfuhr ich, was mit Greta geschah. Sie wurde auf dem Marktplatz öffentlich an den Pranger gestellt. Auf dem Schild stand: «Ich bin eine deutsche Stabsfeldwebelmatratze.»
    Und dann kam das Lagerleben. Zehntausende von Flüchtlingen zusammengepfercht im ehemaligen Seefliegerhorst der deutschen Wehrmacht, immer zwei Familien in einem Barackenzimmer. Am Stacheldraht war die Welt zu Ende. Erinnerungen: Dänische Kinder am Stacheldraht, die heimlich Schokolade und Bonbons über den Zaun warfen, Wachtposten, die wegsahen. — Kinder, die Steine warfen; Wachtposten, die nicht eingriffen. — Menschlichkeit und Haß.
    So näherte sich das erste Weihnachtsfest in der Gefangenschaft. Keine Geschenke, kein Spielzeug, kein Tannenbaum, keine Süßigkeiten, keine Plätzchen, von Vater keine Nachricht, mir war zum Heulen elend. Erst spät kam ich ins Zimmer. Eine Kerze brannte auf dem Tisch. Mutter, meine Schwestern und die andere Familie saßen da, in Mäntel gehüllt, denn die Kohlenlieferung war nicht angekommen. Sie hatten aus Zeitungspapier, das sie bunt angemalt hatten, eine Krippe gebastelt, auf einem Teller lagen kleine Stücke Weißbrot, die alle gespart und gesammelt hatten, mit Zucker bestreut. «Komm, Arnim, wir wollen Weihnachten feiern! Daß wir uns lieb haben, daß wir gesund sind, das ist doch das größte Geschenk für uns alle!» sagte Mutter und nahm mich in die Arme. Ich konnte nicht sprechen, zu sehr saß die Verbitterung in meinem Herzen. Dann sangen alle für mich: «Alle Jahre wieder, kommt das Christuskind.» Ich sang nicht mit.
    Als sie gerade sangen «Kehrt mit seinem Segen, ein in jedes Haus», klopfte es an die Tür. Sie öffnete sich langsam, und im Schein der einen Kerze erschien das schwitzende, runde Gesicht von Onkel Peddersen. «Wohnt hier Arni? Hier ist der dänische Weihnachtsmann!» Ich saß wie erstarrt, als er schon das Licht angedreht hatte. Er war noch dicker geworden, jedenfalls sah er in der Lumber-Jacke so aus. Aber es sah nur so aus! Denn jetzt zog er den Reißverschluß auf, und heraus nahm er alles, was ich mir so heiß gewünscht, was er vor den Augen der Wachtposten unter der Jacke versteckt hatte: Apfelsinen, Nüsse, Schokolade, Kekse, Plätzchen, Kaffee für Mutter, weiche Strümpfe für die Mädchen und für mich das gelbe Auto!
    Ich begriff gar nichts, nahm erst viel später wahr, daß er freiwillig am Heiligabend mit seinem alten Lastwagen die Kohlelieferung für die Flüchtlinge brachte, weil kein anderer mehr fahren wollte. «Arni soll nicht frieren.»
    Für mich war alles ein Wunder! Jetzt hatte sich die Spannung gelöst und ich heulte ungeniert. Die Mädchen hingen an Onkel Peddersens Hals und erdrückten ihn fast, ich hatte nur Augen für das schöne Auto. Und dann ertönte Mutters Stimme: «O du fröhliche!» stimmte sie an, und alle sangen mit, auch ich.
    Jetzt waren die Tränen in Onkel Peddersens Augen. Ich habe ihn nicht wiedergesehen.

    Hilde Hauk

Als uns Engel besuchten

    Als Siebzigjährige erinnere ich mich gern an die Weihnachtszeit, in der uns Engel besuchten.
    Meine Eltern waren nach dem Ersten Weltkrieg aus Westpreußen geflüchtet und bekamen mit meinem kleinen Bruder und mir eine ärmliche Wohnung in Holstein zugewiesen.
    Obwohl uns fast alles fehlte, fütterten meine Eltern ein Schwein, und mein kranker Vater tröstete meine oft mutlose Mutter: «Wenn wir erst geschlachtet haben, geht’s uns gut.»
    Ich dachte: Dann sind wir so reich wie die anderen Leute hier im Dorf. Kurz vor dem Fest wurde das durch viel Rohkost schlank gebliebene Schwein verarbeitet, danach alle verfügbare Wäsche gewaschen, die Wohnung gescheuert, und am Abend hing die gesamte Bettwäsche irgendwie befestigt über den roten Inletts der Betten in unserem Wohn-, Schlaf- und Eßzimmer. Wir vier — auch frisch gewaschen — saßen am Tisch, den mein Vater, um unseren Wohlstand zu demonstrieren, mit allen Fleisch-, Wurst- und Schmalzsorten überladen hatte.
    Und nun sollte das Festessen beginnen!
    Plötzlich Gesang! Weihnachtslieder!
    Mein Vater rief meiner schwerhörigen Mutter zu: «Nicht öffnen!»
    Wie der Blitz sauste er mit den Schüsseln voller Wurst und Fleisch hinter die Betten.
    Und dann traten aus dem Dunkel auch schon mehrere singende Engel ins Zimmer. Sie hatten lange, weiße Nachthemden über die Winterkleidung gezogen, das Haar offen, gekräuselt, und an den Schultern waren
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