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Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
Autoren: Uwe Friedrichsen , Ursula Richter
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einem Frosch bei der Mahlzeit zuzuschauen. Vom ersten Fixieren an bis zum Schnappen und langsamen Hinunterlutschen der Beute, bei dem die riesigen Froschaugen zugekniffen ganz im Kopf verschwinden, strahlt alles eine ungeheure Ruhe und Beschaulichkeit aus. Nichts von Hetze und Gejagtsein unserer Zeit, jede Bewegung ist in sich abgewogen und wohl bedacht.
    Kurz vor Weihnachten war Himbeer verschwunden, er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Hielt er irgendwo seinen Winterschlaf? Oder hatte das milde Wetter, wie es oft vor Weihnachten zu uns kommt, ihn in den Garten gelockt? Aber wahrscheinlich waren Putzerei und Trubel ihm zuviel geworden.
    Der Christbaum brannte am Heiligen Abend, und wir sangen die alten Weihnachtslieder. Horch!! Plötzlich schallte und quakte es zwischen den Krippenfiguren. O seht nur!! Da hockte Himbeer auf Mariens Schoß, glotzte mit seinen großen, starren Augen voller Andacht auf die Krippe und schmetterte und meckerte sein Weihnachtslied. Und Maria schien zu lächeln, und ihre Augen schienen manchmal heimlich vom Kindlein in der Krippe wegzuirren und das andächtige, feuchte, grüne Geschöpf da auf ihrem Schoß liebevoll anzusehen, das auf seine Weise seinen Schöpfer pries.
    Während der ganzen Feiertage saß Himbeer dort, und niemand wagte ihn zu stören. Kaum fand er manchmal Zeit, im Blumenuntersetzer zu baden. Er nahm keine Nahrung zu sich.
    Die Weihnachtszeit ging vorüber, aber wir ließen die Krippe immer noch stehen. Doch langsam wurden die Hirten und Könige müde, und einer nach dem anderen fiel um. Endlich wurde alles abgeräumt und Himbeer mit Gewalt zu den Blumen zurücktransportiert. Darüber kam er nie hinweg. Beharrlich saß er immer wieder an dem Platz, wo Maria einst gekniet, und starrte fassungslos ins Leere. Mit der Zeit wurde er dick und aufgeblasen, langsam und langsamer wurden die Atembewegungen seiner Kehle.
    Und dann war er plötzlich eines Tages weg, einfach weg! Niemand hat ihn jemals wiedergesehen.

    Renate Hedemann

Der vertraute Fremde

    Dieser 24. Dezember hatte nichts von dem, was man von diesem Tag erwartet: Der Schnee, der morgens gefallen war, hatte sich in eine graue, unansehnliche Masse verwandelt. Menschen hasteten über die Bahnsteige oder schleppten verbissen ihr Gepäck die Treppen der Unterführung hinauf.
    Die Zugabteile waren überfüllt. Der Geruch von nasser Kleidung erfüllte die verstopften Gänge.
    Mehr zufällig hatte ich ein Abteil gefunden, in dem nur drei Leute saßen: an der Tür ein langhaariger, junger Mann — offenbar ein Student, neben ihm ein Mann im Nadelstreifenanzug und am Fenster eine übergewichtige ältere Frau.
    Die dicke Frau versuchte, ihre massigen Gepäckstücke in die Ablage zu zwängen. Ich hatte keine Lust, ihr zu helfen. Mir half schließlich auch keiner. Ich hatte den Prozeß verloren. Mein Traum von der großen Karriere war damit wohl vorbei. Ich würde der kleine Provinzanwalt bleiben, der ich war. Die Chance war vertan!
    Der Lautsprecher schnarrte. Unverständliche Worte hallten über die Bahnsteige. Der Zug setzte sich langsam in Bewegung. Mit zwanzig Minuten Verspätung! Und ich wollte abends zu Hause sein. Schließlich war heute Weihnachten.
    Meine Güte, Weihnachten — was war das eigentlich? Müde lehnte ich mich in meinen Sitz zurück. Früher, als ich ein Kind war, war Weihnachten etwas Besonderes. Es war wie eine Welt voller duftender Wärme und glänzender kleiner Lichter. Man hatte Zeit, in die Stille hineinzulauschen, zu träumen und zu warten. Es bereitete sich etwas vor, das guttat.
    «Es begab sich aber zu der Zeit...» Die uralten Worte drängten sich in mein Bewußtsein. Wie war das mit dem Kind in der Krippe weitergegangen? Aus dem Kind war ein Mann geworden. Nur wenige hatten ihn verstanden. Dann hatte man ihm den Prozeß gemacht. Hatte er auch verloren?
    Ein Stoß in die Seite schreckte mich aus meinen Gedanken auf. «Können Sie nicht aufpassen?» fauchte ich. Eine junge Frau mit einem blassen Kind auf dem Arm hatte sich neben mich gesetzt. Sie murmelte eine Entschuldigung. Das blasse Kind begann zu plärren. Der Mann im Nadelstreifenanzug hatte sich eine dicke Zigarre in den Mund gesteckt. Sein Gesicht wirkte feist, es machte mich wütend. «Hier ist Nichtraucher!» meckerte die Dicke. «Die Zigarre ist ja gar nicht angezündet!» mischte sich der junge Mann an der Tür nun ein. «Trotzdem!» schimpfte die Dicke und sah beleidigt aus dem Fenster. Die Stimmung im Abteil war gespannt, man
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