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Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Weihnachtsgeschichten am Kamin 02

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
Autoren: Ursula Richter , Stubel,Wolf-Dieter
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Nachgeburt mußte vollständig sein, das wußte ich. Ich half nach, massierte den Bauch — nein, zuerst das Kind versorgen. Die Ligaturen hatte ich säuberlich hingekriegt, mit dem Rest Kölnisch Wasser rieb ich die Schere ab — das Herz schlug mir bis zum Hals vor dem Durchtrennen der Nabelschnur. «Diese Verantwortung», dachte ich, wie konnte ich mir eine solche Verantwortung aufbürden, nein, wie konnte ich sie mir aufbürden lassen?! «Schneid zu», sagte ich mir, «es muß doch sein.»
    In dem Moment tat sich die Tür auf und herein kam unsere Inselärztin, 24 Jahre jung, Valentina Leontina — mein Mann hatte sie gefunden — , ich hätte sie umarmen können. Ein Mensch, der nun die Verantwortung mit mir trug.
    «Gut haben Sie das gemacht, wunderbar — kakaja krassiwaja dewuschka!» Dabei war das Kind wirklich nicht schön, zumindest nicht in dem armseligen Zustand, in dem es da lag. Aber wir wuschen es, wickelten es auf russische Art wie eine kleine Mumie, die Arme fest an den kleinen Körper gepackt. — Ich war wie erlöst, fiel richtig innerlich in mich zusammen, nachdem die Anspannung vorüber war. — Während sich Valentina der Mutter annahm, legte ich das Kind nicht in eine Krippe, sondern in unseren notdürftig gesäuberten Holzkorb.
    Es war 4 Uhr morgens, als ich durch die eiskalte Nacht nach Hause ging, kein weiter Weg, eben nur am Waldrand entlang. Ich sah den klaren, tiefblauen Himmel über mir und die leuchtenden Sterne und hatte das Gefühl, daß alles gutgegangen war — das beglückte.
    Der Frost war grimmig, die hohen Fichten knarrten. Ich hatte das noch nie erlebt, daß Bäume in großer Kälte solche Laute von sich geben, es war wie ein Stöhnen. Es war nicht die Last des gefrorenen Schnees auf den Zweigen, die Fasern der Äste und Stämme waren es, zwischen denen die Feuchtigkeit gefror, sich ausdehnte und damit die Fasern auseinanderpreßte. Es war, als könnte man die Bäume sprechen hören.
    Was sprachen wohl die Bäume in dieser Nacht, die wir die Heilige nennen? — Ich glaube, sie raunten mir zu, daß es richtig gewesen war, dem Gebot der Stunde zu gehorchen, mein Möglichstes zu geben, nicht Zweifel zu haben, ob die Verantwortung zumutbar und tragbar war in einer solchen Situation.
    Das Kind nannten sie Christa, und es gedieh prächtig.

    Ursula Heimann

Der Papagei

    1945 kam ich als 6jähriges Mädchen zu meinen Großeltern nach Hamburg. Mein Vater war gleich zu Beginn des Krieges gefallen und meine Mutter starb auf unserer Flucht. Mutter war das einzige Kind meiner Großeltern. So fand ich zwar ein neues Heim, aber dieses Zuhause war erfüllt von Trauer. Die schrecklichen Ereignisse der Flucht hatten tiefe Wunden in mich gerissen.
    Großmutter war lieb und gütig, aber niemals huschte auch nur ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. Die Stille des Hauses wurde unterbrochen, wenn Großvater nach Hause kam. Er war nach dem Krieg Kapitän auf einem Handelsschiff. Herrliche und kostbare Dinge brachte er für die damals schlechte Zeit mit: Kaffee, Kakao, Tee, Gewürze und Bananen. Die Bananen waren nur für mich bestimmt. Wenn er mich auf den Arm nahm, stöhnte er unter der Last meines Gewichts. «Was bist du doch für ein großes und schweres Mädchen geworden», log er. Dabei war ich nur ein Fliegengewicht. Ich verehrte Großvater und glaubte ihm alles.
    Abends lauschte ich gebannt seinen Erzählungen: die schwere See im Atlantik, das bunte Treiben in den Häfen des Orients — und dann die Ausflüge in den Urwald. Mir stockte der Atem. Gab es so was wirklich: Affen, die auf Elefanten ritten, Krokodile, die sich streicheln ließen, und ein Papagei, der immer, wenn er Großvater sah (Hallo Arthur), so hieß Großvater, rief? Ich konnte es nicht fassen.
    Als ich im Bett lag, fragte ich Großvater: «Bringst du mir von deiner nächsten Reise einen Papagei mit? Bitte!» Großvater schaute hilfesuchend zu Großmutter. Sie lächelte. Das erste Mal lächelte sie. «Mal sehn, was sich da machen läßt», murmelte er.
    Großvater mußte wieder fort. Monate fieberte ich dem Tag entgegen, an dem er wiederkommen sollte. Inzwischen war es Dezember geworden, Dezember 1950. Von unserem Haus konnte man auf die Elbe blicken. Sehnsüchtig schaute ich allen Schiffen nach, die nach Hamburg fuhren. Welches war sein Schiff?
    Am Vormittag des Heiligen Abends stand er endlich vor der Tür. Ich wollte ihm gerade in die Arme fallen, als ich spürte, daß er diesmal anders war. Er schwankte, und seine
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