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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand
Autoren: Luanne Rice
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wir, also uralt aus damaliger Sicht. Ich erinnere mich aber, dass deine Mutter in dem Sommer vor dem Eintritt ins College ein paar Mal mit ihm ausging.«
    »Sie verliebten sich hier ineinander.«
    Stevie nickte, mit unergründlicher Miene. »Hubbard’s Point war schon immer ideal, um sich zu verlieben.«
    »Dad sagte, sie hätten sich unter der hölzernen Strandpromenade geküsst, und am Little Beach, und hinter dem blauen Haus dort drüben.« Nell deutete aus dem Fenster auf Steven’s Hideaway, ein weitläufiges Anwesen am anderen Ende des Strandes.
    Stevie lächelte, erinnerte sich, wie sie selbst an derselben Stelle geküsst worden war, und nicht nur einmal. Da sie einem jungen Mädchen, das glaubte, es hätte nur eine einzige romantische Beziehung im Leben der Eltern gegeben, die Illusion nicht rauben wollte, behielt sie ihre Gedanken für sich.
    »Blaue Häuser«, sagte Nell. »So habe ich dich gefunden. Meine Mutter erzählte, dass du in einem blauen Haus lebst.«
    »Hat sie dir nicht gesagt, wie ich heiße?«
    »Ich denke schon. Aber Stevie ist ein Jungenname. Vielleicht konnte ich ihn mir deshalb nicht merken. Warum haben deine Eltern dich so genannt?«
    »Um sich immer an meine Wurzeln zu erinnern«, sagte Stevie nach einer Weile, als sie entschieden hatte, dass die Geschichte ihrer Zeugung in einem Hotel am St. Stephen’s Green in Dublin nicht für die Ohren von Emmas Tochter bestimmt war.
    »Wie kommt es, dass dein Haus umgestrichen ist?«
    »Lass mich mal deine Knie anschauen …«, erwiderte Stevie abrupt. »Du hast sie dir ziemlich schlimm aufgeschrammt.«
    »Die sind in Ordnung.« Nell starrte sie an. Ihr Akzent klang ungewohnt für Stevie.
    »Wo lebst du jetzt?« Stevie zog es vor, dass sie diejenige war, die Fragen stellte.
    »Eigentlich in Atlanta, aber mein Vater wurde in die Bostoner Niederlassung seiner Firma versetzt, deshalb wohnen wir vorübergehend dort. Und er hat den Sommer über frei, gewissermaßen. Ich meine, er arbeitet schon, muss aber nicht so oft ins Büro.«
    Beide schwiegen, und Stevie spürte, dass Nell sie immer noch ansah. Das machte ihr nichts aus. Doch dann merkte sie, dass das Mädchen keine Anstalten machte, den Blick abzuwenden, und fühlte sich bedrängt.
    »Ich habe mein Haus weiß streichen lassen, weil es immer blau war«, antwortete sie schließlich, um das Kind abzulenken. »Seit meiner Geburt. Und deshalb dachte ich … wenn ich die Farbe des Hauses veränderte, würde auch ich mich verändern … einige Dinge, die mir nicht gefielen. An meinem … Leben. Leuchtet dir das ein?«
    Nell nickte ernst und senkte den Blick, auf Stevies linke Hand.
    »Du suchst die Verlobungsringe. Ich weiß. Das tun alle Kinder.«
    »Hast du sie alle im Wasser verloren?«
    Stevie rang sich ein Lächeln ab. »Nur einen. Und ich habe ihn nicht verloren.«
    »Nein?«
    »Nein. Ich habe ihn hineingeworfen.«
    »Aber du suchst ihn jeden Morgen!«
    Stevie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich gehe jeden Morgen am Strand entlang, um nach Schnepfen Ausschau zu halten, die ich zeichnen möchte. Und weil ich gerne schwimme, bevor die Sonne aufgeht. Und gerne die Füße im Wasser beim Spazierengehen habe.«
    »Deine Füßchen.« Nell grinste.
    Stevie nickte. Das Lächeln des Mädchens bewirkte, dass ihre Kehle wie zugeschnürt war und ihre Augen brannten.
    »Warum gehst du vor Sonnenaufgang zum Strand?«
    »Weil um die Zeit noch niemand dort ist. Ich bin eine Einsiedlerin.«
    »Ist das eine besondere Art von Hexe?«
    Stevie lächelte. »Gewissermaßen.«
    Ein lauer Wind wehte, und in der Ferne wurde ein Motorboot angelassen. Tilly schlich auf leisen Pfoten in den Raum, darum bemüht, sich unsichtbar zu machen. Die alte Katze hockte sich reglos wie eine Statue in die Ecke neben ein Vogelhaus im neogotischen Stil und beobachtete ihre Herrin und die Fremde.
    »Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ich dich kennen gelernt habe.« Nell faltete die Serviette zusammen.
    »Ich auch. Sehr sogar.«
    Sie erhoben sich beide, standen sich gegenüber. Stevie hatte viele Fragen, die Emma und ihr Schicksal betrafen, aber sie wusste aus eigener Erfahrung, dass es wichtig war, in solchen Dingen Fingerspitzengefühl zu beweisen. Sie begleitete das Mädchen zur Küchentür an der Rückseite des Hauses hinaus. Tilly folgte ihnen.
    »Eine Katze!«, rief Nell, als sie ihrer ansichtig wurde. Sie bückte sich, um Tilly zu streicheln, was mit einem Zischen und einem heftigen Ausschlag des Schwanzes quittiert wurde.
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