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Weck mich am Arsch!

Weck mich am Arsch!

Titel: Weck mich am Arsch!
Autoren: Ralf Prestenbach
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die Annahme, dass unsere Gesellschaft in der Mehrzahl aus Frühaufstehern besteht, gehört dazu. Sicher, wenn man zwischen zwangsweisen und echten Frühaufstehern nicht unterscheidet, könnte man tatsächlich den Eindruck bekommen, von lauter Frühaufstehern umgeben zu sein. Mit der gleichen Logik könnte man allerdings auch behaupten, jeder, der sich kein Auto leisten kann, sei ein Umweltschützer!
    Mehrere chronobiologische Studien haben mittlerweile belegt, dass die echten Frühaufsteher definitiv in der Minderheit sind. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass die frühen Vögel nach wie vor der Gesellschaft ihren ungesunden Stempel aufdrücken. Ganz Deutschland singt seit Jahrhunderten ein Lob lied auf den frühen Morgen, und das meine ich jetzt nicht nur bildlich. Mit genretypisch grenzdebilem Botoxlächeln ziehen Schlagerbarden immer noch »im Frühtau zu Berge« und merken dabei nicht, wo der Schuh eigentlich drückt. Und schlimmer: Der größte Teil des Publikums merkt es ebenfalls nicht. In Bezug auf wirksame Öffentlichkeitsarbeit haben Langschläfer also noch einiges nachzuholen. Gerade auf musikalischem Terrain sollte es doch möglich sein, die Frühaufsteher-Fraktion auszustechen. Aber alle bisherigen Versuche sind in Deutschland nicht gerade überzeugend verlaufen. 1979 schafften es die Jungs von Truck Stop mit ihrem Langschläfer-Song »Take it easy, altes Haus« bis auf den zweiten Platz der deutschen Grand-Prix-Vorentscheidung. Ein eher bescheidener Erfolg, und trotzdem gilt dieses Lied noch heute als die deutsche Langschläfer-Hymne schlechthin. Ist das nicht beschämend?
    Noch beschämender sind die unzähligen Synonyme für »Lang schläfer«, die man sich im Lauf der letzten Jahrhunderte hat einfallen lassen. Während man nachweislich ab dem 14. Jahrhundert den Namen »Frühauf« (Früauff, Vrohuf, Vruhuf, Vrubrod) als ehrenden Übernamen für einen fleißigen Frühaufsteher, zum Beispiel einen Bäcker, benutzte, haben die Bezeichnungen für Langschläfer allesamt die entgegengesetzte Absicht: Sie sollen kränken. Im Fränkischen beispielsweise nennt man einen Langschläfer einen »daaben Düdl«, wobei »daab« von »taub« kommt und »düdl« von »besoffen«. Im Badischen heißt es »Schloofer« oder »Schnarchzapfe«, im Schwäbischen »Hembdglunki«, im Nordsächsischen »Drimzochel«, im Oberpfälzischen »Nazer« und auf Kölsch sagt man zu einem Langschläfer Ȇl«, also Eule. Gegen den Vergleich mit einer nachtaktiven Eule wäre ja eigentlich nichts einzuwenden, würde man mit dem gleichen Wort in Köln nicht auch Dummköpfe und hässliche Frauen titulieren.
    Es wird höchste Zeit, dass sich einmal jemand die Mühe macht, eine Landkarte für Langschläfer zu erstellen. Ein Verzeichnis aller Gebiete, in denen man als Freund des geruhsamen Morgens mit besonders unverschämten Ausdrücken konfron tiert wird. Wenn alle Langschläfer diese Gebiete dann konsequent meiden, würden die Bewohner solcher No-go-Areas schnell merken, wie viele Langschläfer es tatsächlich gibt und welche Wirtschaftskraft diese Langschläfer haben. Dann hätten auch die Kölner bald nichts mehr zum Klüngeln, da bin ich mir sicher!
    Aber egal, wie sehr man auch beschimpft wird, es ändert nichts daran, dass die Formel »früh = Erster = Gewinner« in vielen Situationen des menschlichen Daseins nicht zutrifft. Da muss man noch nicht einmal anzüglich werden. Eine Frühgeburt, beispielsweise, ist eine ziemlich gefährliche Art, das Licht der Welt zu erblicken. Doch die »frühen Vögel« zwitschern ungeachtet dessen weiterhin Siegeshymnen. Bestes Beispiel dafür ist die Imagekampagne des Landes Sachsen-Anhalt mit dem Titel: »Wir stehen früher auf! Sachsen-Anhalt«. In dieser Kampagne rühmt man sich einer Forsa-Umfrage, welche herausgefunden haben will, dass Menschen in Sachsen-Anhalt durchschnittlich um 6.39 Uhr und damit neun Minuten früher aufstehen als der Rest der bundesdeutschen Bevölkerung. Als Langschläfer kann man den Bewohnern Sachsen-Anhalts nur sein aufrichtiges Beileid aussprechen. Sowohl für das frühe Aufstehen wie auch für die gesamte Werbekampagne, die knapp 2,5 Millionen Euro gekostet hat. Wer so wirbt, gehört definitiv nicht zu den
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