Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten
Autoren: Siegfried Lenz
Vom Netzwerk:
der Hütte des Malers, die frei am Fuß einer Düne lag und ein niedriges, aber sehr breites Fenster zum Meer hin hatte.
    Deutschstunde , 1968
     
     
     
     
    Den tiefsten Einschnitt bildet die Eider-Treene-Mündung. Hier war es, wo der Schiffahrtsweg von Haithabu begann – oder endete, der zu Wikingerzeiten die Frachten in die Schlei und damit in die Ostsee beförderte. Später wurde von Herzog Friedrich III. Friedrichstadt gegründet als Konkurrenzunternehmen zu dem königlich-dänischen Glückstadt an der Unterelbe. Glückstadt sollte eigentlich Hamburg überflügeln, was ihm nicht gelang. Und Friedrichstadt wurde nicht ein Welthafen, sondern ein freundliches Städtchen, geeignet für den Umschlag ländlicher Erzeugnisse aus der Umgebung.
    Noch etwas weiter nördlich: Husum ist durch seine Lage dazu bestimmt, den Verkehr zu den Halligen und den Inseln zu übernehmen. Es hat zeitweise auch den Handel nach Schleswig hinüber besorgt. Im großen und ganzen aber ist es jetzt der Markt für die umliegenden Gräsermarschen. Tausende von Mastochsen wechseln dort alljährlich ihren Besitzer. Im Frühjahr bringen die Geestbauern ihr Magervieh zum Verkauf an die Marschbauern, die es im Laufe des Sommers heranmästen und dann der Fleischindustrie zuführen.
    Erstaunlich ist doch, wie man im vorigen Jahrhundert zum Beispiel von der »grauen Stadt am Meer« sprach, während die Künstler unserer Zeit, allen voran Emil Nolde aus Seebüll im äußersten Norden Schleswig-Holsteins, wahrhafte Farbensymphonien in dieser Landschaft sahen.
    Sicher ist beides da, regenverhangene graue Tage und trostlose Wochen, die das Gemüt verzagt machen. Aber auch das andere stimmt: flammenprangende Wolkenberge türmen sich über dem Meer, über der Marsch, die golden erglüht. Die See rollt heran mit schäumenden Wellen, Abendsonne verfärbt das Blau zu flüssigem Rot, bis die Sonne herabtaucht in den unendlichen, verblassenden Ozean. Auch über den Gärten flutet das gleiche Licht, das der Seewind und die Feuchte zum Strahlen bringt. Die Blumen strotzen vor Kraft, ihre Farben brennen in intensivem Glanz, der Erdboden, dunkelbraun, verströmt seinen gesunden Duft, den man zu riechen meint, wenn man ein solches Bild betrachtet. Das sind die Themen, mit denen sich ein Maler, der verfemt war und nicht malen und ausstellen durfte, über diese Zeit hinweghalf – mit der Natur verbunden und durch sie gehalten. Seine Aquarelle, die er seine ungemalten Bilder nannte, oft nur postkartengroß, sind Skizzen seiner Schöpferkraft. »Der große Gärtner« heißt eines seiner späten Bilder. Gottes Geist schwebt über den Blumen der Erde, berührt sie mit sorgender Hand. Hoffnung regt sich, daß nach dem Grauen neues Blühen verheißen wird.
     
    Und jeder weiß um die Geschichte der Halligen, der Nordfriesischen Inseln überhaupt, daß sie vor Jahrhunderten abgerissen sind vom Festland, daß vielleicht sogar ein viel größeres Land versunken ist, zu dem unsere Inseln und Helgoland und vielleicht auch Großbritannien gehörten, die allein noch aus dem Meer aufragen – wobeian vielen Stellen das Wort »ragen« keinesfalls angebracht erscheint.
    Und die Tatsache, daß diese Inseln Land sind, zum Land gehören und nur zeitweilig Inseln sind, hat mich vor einigen Jahren zu einer Geschichte veranlaßt:
    Die Frau, die ihren Mann unwiderruflich haßt, wird ihn eines Tages dadurch los, daß sie ihn, einen eifrigen Wattgänger, ins Watt hinausschickt mit einer zurückgestellten Uhr.
    Wo die Möwen schreien ... , 1976
     
     
     
     
    Die Flut ist pünktlich
     
    Zuerst sah er ihren Mann. Er sah ihn allein heraustreten aus dem flachen, schilfgedeckten Haus hinter dem Deich, den Riesen mit dem traurigen Gesicht, der wieder seine hohen Wasserstiefel trug und die schwere Joppe mit dem Pelzkragen. Er beobachtete vom Fenster aus, wie ihr Mann den Pelzkragen hochschlug, gebeugt hinaufstieg auf den Deich und oben im Wind stehenblieb und über das leere und ruhige Watt blickte, bis zum Horizont, wo die Hallig lag, ein schwacher Hügel hinter der schweigenden Einöde des Watts. Und während er noch hinüberblickte zur Hallig, stieg er den Deich hinab zur andern Seite, verschwand einen Augenblick hinter dergrünen Böschung und tauchte wieder unten neben der tangbewachsenen eisernen Spundwand auf, die sie weit hinausgebaut und mit einem Steinhaufen an der Spitze gesichert hatten. Der Mann ging in die Hocke, rutschte das schräge Steinufer hinab und landete auf dem weichen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher