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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten
Autoren: Siegfried Lenz
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zurückwich, ließ es sich hier gut fischen. Wir nahmen uns meist bei der Hand, traten in einen grauen Tümpel oder an den Rand eines flachen Priels und ließen uns einfach einsinken in den Schlamm, fühlten, tasteten mit den Zehen, zogen unsere Beine, einander stützend, heraus und arbeiteten uns systematisch weiter durch Schlick und Schlamm, immer gespannt und darauf gefaßt, daß sich unter der Fußsohle etwas krümmte; es schlug, es zappelte und bog sich, sobald wir einen Flachfisch aufgespürt hatten, eine Scholle, einen Butt, sehr selten eine Seezunge, und Hilke schrie und quietschte jedesmal, wenn sie den Fisch entdeckt hatte und festtrat: ich kenne keinen, der so ausdauernd Butt pedden konnte wie meine Schwester Hilke. Obwohl sie sehr kitzlig war, sich jedesmal schreckhaft aufbäumte und quietschte, ließ sie kaum einen Flachfisch entkommen, sie hielt ihn so lange unter dem Fuß, bis ich ihn gepackt und hervorgezogen hatte.
    Manchmal sackte sie bis zu den Schenkeln ein, dann riß sie ihr Kleid bis zur Brust hoch. Manchmal glitschte sie über eine flache Tonschicht wie über Eis. Es machte ihr Spaß, wenn es im kühlen Mudd gluckste und sabbschte, wenn Blasen platzten, wenn sie weich und stetig einsank in den Grund. Nie vergaß sie, die Strömung in den Prielen zu beobachten. Wenn der wellig geriffelte Grund des Watts härter wurde, hüpfte sie auf einem Bein und landete jedesmal auf einem der schnurförmigen Kotkringelder Sandwürmer. Sie fing Muschelkrebse, Scherenasseln und Borstenwürmer, beobachtete sie eine Weile in der offenen Hand und setzte sie ins Wasser zurück. Sie sammelte leere Wellhornschnecken, warf die Gehäuse in ihren Schlüpfer; der Gummizug am Schenkel verhinderte, daß sie sie verlor. Das alles gehört unbedingt zur Szene.
    Deutschstunde , 1968
     
     
     
     
    Eine seltsame Wasserwelt liegt zwischen der Küste und den Inseln, das Watt, vom Hochwasser überflutet, von der Ebbe weithin freigegeben. Priele und Rinnen durchziehen das Schwemmland in Schlingen und Windungen, durch die der Ebbstrom zurückfließt ins Meer. Kleine und schmale Rinnsale sind es zuerst, die in ständig wechselnden, mäanderartigen Mustern das hohe Watt zeichnen und sich in die Wattströme ergießen. Mit größter Wucht reißt die gewaltige Strömung dann die Wassermassen durch die Seegatts zwischen den einzelnen Inselleibern hinaus in die offene See.
    Wenn zur Flutzeit alles mit Wasser bedeckt ist, ahnt der Unkundige nicht, warum das Gebiet für die Schifffahrt solche heimtückischen Schwierigkeiten hat. Darum stecken auch längs der Priele, der tiefen Rinnen, die Birkenstämmchen, Pricken genannt, die den Schiffahrtswegquer durchs Watt anzeigen, und Baken und Tonnen bezeichnen ja überall Tiefen und Untiefen.
    Eine neue Welt offenbart sich dem Wattwanderer. Offen liegt bei Ebbe der Boden, in schönen Mustern geriffelt und gerippelt, in Schlick und Sand stehengebliebene Wellenformen. Wie bei einem Festlandfluß gibt es auch auf dem Meeresboden den Prallhang, wo in der Priel- schlinge der Strom auf das Ufer prallt und seinen »Steilhang« zerstört. Er bewirkt gleichzeitig auf der Innenseite, auf dem sanfteren Gleithang, das Ablagern von weiterem Schlick, der schon manchem Ungeübten zur großen Mühsal wurde. Das Ganze ist ein ähnlicher Vorgang, wie er an den Kanten der Inseln zu beobachten ist, nur wesentlich schneller, weicher, geräuschloser, aber nicht minder gefährlich.
    Im Schlick und Sand des Wattenmeeres lebt eine eigene Tierwelt, die sich während der Ebbezeit in ihren nassen Wohnungen, in Röhren und Trichtern, verbirgt. Muscheln, Würmer, Krebse vergraben sich tief im Sand. Denn sie wissen, daß sie jetzt den nahrungsuchenden Vögeln frei ausgesetzt sind. Silbermöwen gehen auf Jagd, Austernfischer, Seeschwalben, Brandenten.
    Wo die Möwen schreien ... , 1976
     
     
     
     
    Dann die Trübnis des Wattenmeers, niedrige Wolken im Westen, stoßartiger Wind, der die Priele krauste und die Tümpel, und der das Gefieder der Seevögel sträubte, das ferne Motorengeräusch eines einzelnen Flugzeugs, der sandige Schimmer der Halbinsel, die Höhe des Deichs – noch sicherer, noch unbezwinglicher vom Watt her – und weit hinten auf der Düne die Hütte des Malers.
    Ich trug den Korb mit den Fischen. Ich folgte Hilke durch das Watt, warf nach fischenden Seevögeln, versuchte, wie sie, auf einem Bein zu hüpfen. Ich zertrat gelbliche Schaumhügel, die der Wind zusammengeweht hatte. Die Fische zappelten im Korb
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