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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten
Autoren: Siegfried Lenz
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zu erliegen, zum »Oberkellner der Aktualität« zu werden.
    Das auffälligste Merkmal dieses Schriftstellers ist Stetigkeit,Stetigkeit in jeder Hinsicht und in allen Lebenslagen: in seinem persönlichen Leben, in seiner Beziehung zu bestimmten Orten, im Verhältnis zu seinem Verlag, in seinen literarischen Themen, seiner Technik, seiner epischen Geduld. »Ich habe früh festgestellt«, hat er in einem Gespräch gesagt, »daß, wenn man schreibend leben möchte, Sitzfleisch dazu gehört, nicht nur Inspiration, sondern Sitzfleisch, Starrsinn, Ausdauer.«
    Blicken wir einen Augenblick zurück. Lenz’ Debütroman Es waren Habichte in der Luft , der 1951 erschien, handelte von Schrecken und Entscheidungsnot, von der Möglichkeit richtigen und falschen Handelns. Der Roman war durch Thema, Sprache und Form typisch für die frühe Nachkriegszeit. Der Autor zeigte, daß er seine Lektion gelernt hatte – die geschichtliche Lektion eines jungen Deutschen, der im masurischen Ostpreußen geboren worden war und die Heimat seiner Kindheit und Jugend unwiederbringlich verloren wußte. Der als Siebzehnjähriger in den Hitler-Krieg zog und durch ihn seiner Illusionen (wenn er denn welche gehabt hatte) beraubt und um einige schmerzhafte Erfahrungen bereichert wurde. Davon hat Siegfried Lenz in der autobiographischen Skizze »Ich zum Beispiel«, später auch in der Erzählung »Ein Kriegsende« berichtet. Den Satz von André Gide: »Ich baue nur noch auf die Deserteure«, hat er beherzigt, sein Gewehr weggeworfen und sich durchgeschlagen von Versteck zu Versteck in den dänischen Wäldern. Er war neunzehn, als Krieg und Naziherrschaft zu Ende waren, er begann zu schreiben, als die Bundesrepublikgegründet wurde, und er war bereits einer ihrer bekanntesten Schriftsteller, als sie im Wirtschaftswunder blühte und mit ihrer Vorgeschichte allzu schnell fertig zu werden schien.
    Dieser Erfahrung, diesem Thema ist Siegfried Lenz niemals entkommen. Vor allem seine beiden dem Umfang nach größten Romane sind davon bestimmt: Deutschstunde und Heimatmuseum , erschienen 1968 und 1978. Diese Bücher stellen so etwas wie epischen Geschichtsunterricht dar, ohne in dieser Kennzeichnung völlig aufzugehen. Nicht zufällig hat Marcel Reich-Ranicki mit Blick auf die beiden Romane Thomas Mann zitiert: »Nicht deutscher kann’s zugehen, als wo Deutsches mit Deutschem gezüchtigt wird.«
    Trotz dieser Romane ist Lenz seinem Wesen nach ein Geschichtenerzähler. Die Welt liefert ihm unaufhörlich Stoff für Geschichten. Stoff zugleich für die alte Schriftstellerhoffnung, die Welt durch Geschichten wenn nicht begreifbarer, so doch überschaubarer zu machen. Lenz war ein Wegbereiter der Short Story in der jungen Bundesrepublik, neben Weyrauch und Schnurre, Borchert und Böll – er ist heute ihr letzter großer Vertreter in seiner Generation. Die Kurzgeschichte war nach dem Zweiten Weltkrieg kein literarisches Genre unter anderen, sie war gleichsam Programm. Knapp dem Umfang nach, klar im Umriß, nüchtern in der Thematik, glänzte sie durch eine Eigenschaft, die Alfred Polgar einst an Hemingway rühmte: kein Gramm Literaturfett. Man denke an eine Erzählung wie »Das Wrack« von 1952, die den Autorder 49 Stories – Lenz selbst hat darauf hingewiesen – als literarisches Vorbild unverkennbar durchscheinen läßt. Noch deutlicher sind die Verbindungen zu der im selben Jahr erschienenen berühmten Erzählung »Der alte Mann und das Meer«. Doch hat Lenz sich von Hemingways Feier der Tat, den »Momenten gewaltsamer Erprobung«, allmählich gelöst, um auch die Vor- und Nachgeschichten zu untersuchen und dem notorischen Scheitern die »Vision der Ausdauer« entgegenzusetzen.
    Bei Lenz findet man keine zornige Anklage gegen die Gesellschaft (was nicht mit Gleichgültigkeit und Apathie zu verwechseln ist), aber auch keinen verzückten Gebrauch der eigenen Kunstmittel (obwohl er ein Meister des Metiers ist und jüngere Autoren viel von ihm lernen können). Man könnte sagen, daß er erzählt, wie er fischt, doch gilt auch die Umkehrung: Wenn er über die »Kunst, einen Fisch zu fangen« berichtet, erfahren wir gleichzeitig viel über das Handwerk des Schreibens: »Vorbereitung ist alles, und diese Vorbereitung beginnt, wenn die innere Einstellung zur Beute nichts mehr zu wünschen übrigläßt – mit dem Angelgeschirr, mit seiner kunstvollen, bedächtigen Auswahl und Zusammenstellung.« Kennzeichnend für diesen Schriftsteller ist eine epische Behutsamkeit,
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