Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Stolz verwunden, in der Gewißheit, daß zum Schluß doch noch die Stunde der Rache kommen werde. Schach und matt.
    Der Fluß schiebt sie, unwiderstehlich. Paddel sind nutzlos dagegen, der Anker ist weg. So sicher wie die Schwerkraft ihren Zug ausübt und Planeten um die Sonne kreisen, zieht es sie in diesen grimmigen, steinernen Mund dort vorn, es zieht sie – wie Eisenfeilspäne zum Magneten – auf die Lanzen ihrer Feinde, in fataler Appetenz. Nun sieht der Entdeckungsreisende sie ganz deutlich – die Tuareg-Armee, die von der Klippe auf sie herabgestarrt hat, die Haussa-Stammeskrieger in
jubbah
und Turban, ein Kontingent der Maniana, ockerfarbene Gliedmaßen und angefeilte Zähne. Da – das sind die Soorka, und dort die namenlosen Wilden von Gotoijege, die brennen darauf, ihren König zu rächen. Jedes nicht beachtete Vorrecht, jede schroffe Abweisung,jede zugefügte Wunde, jeder vergossene Blutstropfen ist nun zurückgekehrt, sie heimzusuchen. Es ist ein Tag der traurigen Ironien. Noch während er hilflos zusieht, wie sein eigener Tod wie ein Theaterstück inszeniert wird, sieht Mungo die ausgebleichte Hochwassermarke einer zweiten Passage, die ideal um die Felsmauer herumführt, breit und ohne Hindernisse, aber knochentrocken – schiffbar nur in der Monsunzeit.
    Wie ein Traum, dieser Augenblick vor dem Tod. Ruhm, Ehre, Frau, Familie, Ehrgeiz – alle sind gleich belanglos. Er ist ein Dickhorn-Schafbock in den Klauen eines Raubtiers, so benommen, daß er keinen Schmerz mehr spürt, seine Eingeweide ergießen sich ins Gras, die Augen werden glasig, das Krachen und Sabbern der mahlenden Kiefer ist wie ein Klagelied. Er blickt sich um, entrückt abwesend. Martyn fummelt an den Waffen herum, Rise ist an der nutzlosen Ruderpinne erstarrt, M’Keal bekreuzigt sich. Hundert Meter noch, das Wasser schlürft und brodelt. Was kann er schon tun? Einen von tausend erschießen? Noch jemandem das Leben nehmen? Nein. Da bleibt er lieber sitzen und wartet auf den Wald von Speeren, die schartigen Steine, die Kessel mit siedendem Öl.
    Doch dann läßt ihn etwas hochfahren, etwas wie Ärger, Wut, ein maßloser Zorn, der von Adrenalin und Haß gespeist wird: in der riesigen Menge, in dem Dickicht von Waffen und Gliedmaßen und huschenden Körpern erkennt er plötzlich, blitzartig, ein einzelnes Gesicht. Das Gesicht des einen Menschen, dem allein er im ganzen endlosen Universum etwas entgegenbringt, das einem reinen Gefühl nahekommt, für den er abgrundtiefen, unbarmherzigen gnadenlosen Haß empfindet, jenes einen Menschen, der seine Pläne durchkreuzt und ihm den Weg verbaut hat wie ein Vetter des Teufels, vernunftlos, eiskalt und tödlich, jenes einen Mannes, den er in der Wiege erdrosselt hätte, wäre ihm die Gelegenheit gegeben worden:
Dassoud
. Die beidenzischenden Silben bleiben ihm im Hals stecken, schlagen ihm ins Gesicht, und auf einmal ist Mungo auf den Beinen, schwankt mit dem Boot, fährt in die grellbunten Fetzen seines Hemds und packt den glatten Elfenbeingriff seiner Geheimwaffe, seines letzten Nothelfers, der schimmernden silbernen Pistole, die ihm Johnson mit dem Abschiedssegen in die Hand gedrückt hatte.
    Er hat sie aufgehoben, dicht am Körper, während der langen Monate. Der Schatz des Hamsterers, tief im Hüftriemen seines zerlumpten Lendenschurzes versteckt, in den Falten des albernen bunten Hemds verborgen, das er sich aus den Resten eines Union Jack gemacht hat. Wäre es zum Schlimmsten gekommen, für den Fall, daß der Fluß unter seinen Füßen verdunstete oder die Mauren ihn in die Hände bekommen sollten, hatte er geplant, ihn auf sich zu richten. Eine Kugel, eine einzige nur. Die Gaumenhöhle, die weiche Stelle am Ohr. Jetzt aber, in einem vom Himmel arrangierten Augenblick, sieht er, wofür diese Kugel gedacht ist, er versteht, warum sie aus der Erde gegraben, eingeschmolzen, gegossen und gehärtet wurde, er begreift, warum Johnson – das Salz der Erde – ihm die Pistole aufgedrängt hat. In drei Minuten wird er tot sein. Und Dassoud auch.
    Fünfundsiebzig Meter. Fünfzig. Der Mob schreit jetzt, rosa Münder wie Wunden in den dunklen, öligen Gesichtern. Zehntausend Lungen stoßen schallend ein Brüllen aus, das für einen Sekundenbruchteil das unirdische Getöse des Flusses übertönt, um fast im selben Moment noch zur stummen Gebärde abzuflauen.
    Dassoud ist da und lauert, er hockt nicht über dem Tunnelbogen wie die anderen, sondern klammert sich auf einem Sims in Wasserhöhe fest, ganz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher