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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik
Autoren: T.C. Boyle
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vorn, ein einziger Mann, der dem Kanu am nächsten ist. Zwischen seinen Zähnen klemmt ein Messer, die Hände heben eine Muskete. Der
tagilmust
schlottert ihm um den Hals, als hätte ersein Gesicht absichtlich für diesen Anlaß entblößt; ein schmales, triumphierendes Lächeln liegt auf seinen Lippen, seine Augen sind eine Feuersbrunst, die Brücken hinter sich hat er abgebrochen. Für diesen Moment hat er alles geopfert – seine Elitekavallerie, seine Hegemonie über die Wüstenstämme, das weiche, fruchtbare Fleisch in Fatimas Schoß. Viereinhalb Monate lang – seit seinem Mißerfolg in Sansanding – hat er sich wie ein Besessener verausgabt. Pferde verreckten unter ihm, seine Haut schlug Blasen und seine Kehle verdorrte, nur um diesen Moment zu erreichen. Er hat das Land der Kaffern heimgesucht, seltsame schnatternde Wesen getötet und ihr rohes Fleisch beim Weiterreiten ausgelutscht – keine Zeit für Rastpausen   –, die Stammeshäuptlinge mit der Nachricht von den weißen Männern, den
Nazarini
, aufgestachelt, er hat gewacht, gegessen, geatmet nur für diesen Moment, diesen Ort, für Boussa.
    Fünfundzwanzig Meter. Martyn feuert eine Muskete in das Gesichtermeer, die Lanzen sind wie ein Wald auf Wanderschaft, M’Keal liegt am Boden, die Felsblöcke kippen auf ihren Hebelpunkten. Mungo langt in sein Hemd und reißt die Pistole in einer fließenden, glänzenden Bewegung heraus, die Waffe blitzt wie ein frisch geschliffenes Schwert. Er richtet sie auf Dassoud, beide Arme ganz ruhig, aber das Boot schwankt, genaues Zielen ist schwierig, alles wirbelt noch näher heran, das Brausen   … ein Stein streift seine Wange, irgendwo hinter ihm brüllt Martyn durch den Donner in seinem privaten Todesschmerz auf   …
    Im Heck des Kanus sitzt, ungläubig und wie gelähmt, Ned Rise und schwankt zwischen zwei Alternativen: Soll er den Sprung in die reißende Strömung riskieren oder abwarten, bis er totgequetscht, wie ein Insekt am Boden zermalmt wird? Er atmet schwer, die Augen zerfließen in seinem Kopf, und er klammert sich aus alter Gewohnheit an die Ruderpinne, zögert den Moment hinaus, starrt zu dendicht gedrängten schwarzen Gesichtern empor, und er sieht glasklar wieder den Henker vor sich. Spring! brüllt er sich an. Spring! Aber er kann nicht, das Wasser ist wie die Zähne eines Sägeblatts, mit wahnwitzig dröhnendem Ingrimm hackt und schnappt es nach den Felsen   … und dann schlagen die ersten Pfeile in das Kanu, M’Keal wird getroffen, wieder und wieder getroffen, sein Mund öffnet sich zu einem stummen Schrei, das Blut bricht hervor wie eine Überraschung   … und immer noch bleibt Ned sitzen. Millisekunden verstreichen, das Boot rollt und schwankt: Ned Rise, der ehemalige Klarinettist, Nichtsnutz, Galgenvogel und Afrikaforscher, ein toter Mann. Fieber und Panik schütteln ihn, er sieht in den Schlund der Bestie, jeder seiner Muskeln erstarrt.
    Und dann sieht er Mungo am Bug stehen. Mungo, der in einem Hagel von Speeren, Pfeilen und Steinen etwas aus seinem Hemd zieht. Etwas Langes, Schlankes mit silbernem Lauf, etwas aus einem fernen Alptraum: eine Duellpistole. In seinem Hirn klicken Relais. Barrenboyne. Johnson. Sein verpatztes Leben. Und dann, wie in Trance, springt er auf, weicht den Speeren und Pfeilen aus und stürzt zum Bug hin, voller Wut, Wut, Wut, er kämpft sich mitten ins Getümmel.
    Fünfzehn Meter noch. Das Boot neigt sich stark vornüber und hebt sich dann ganz aus dem Wasser, hängt für einen schwindelerregenden ewigen Moment in der Luft, und jetzt ist Mungo bereit, ein leichtes Ziel, Dassouds Gesicht groß wie ein Wagenrad – doch plötzlich wird seine Hand gepackt, die Pistole seinem Griff entwunden. Ned Rise ist da, triefnaß, wahnsinnig, von Lanzen gestreift, und er krallt nach der Pistole, als wäre sie der Schlüssel zum Universum, der heilige Gral, der Deus ex machina, der ihn aus dem todgeweihten Kanu fortheben und in Sicherheit schleppen könnte. «Gib sie mir!» kreischt Mungo durch das brüllende, zornige Brausen des Flusses hindurch, verzweifelt,nur ein Sekundenbruchteil Zeit bleibt noch. Er packt die Pistole, Ned entringt sie ihm wieder, das Boot trudelt auf den Tunnel zu, rings um ihre Ohren stürzt die Welt ein   … «Barrenboyne!» schreit Ned, als wäre es ein Schlachtruf, seine Züge verzerren sich, nasses Haar klebt auf seinem Gesicht. Zehn Meter, jetzt fünf, alle Hoffnung des Entdeckungsreisenden ist auf dieses silberne Rohr geheftet, auf ein
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