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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik
Autoren: T.C. Boyle
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– vor allem in dem leicht schielenden Blick   –, Thomas aber war eine exakte Kopie, sein genaues Abbild, die Gußform. Und noch mehr als seine Geschwister pflegte er die Legende seines Vaters, brütete über den Büchern und Landkarten in der Bibliothek des Entdeckungsreisenden, sagte die Litanei der Gerüchte vor sich hin, bis die Worte glasklar erschienen.
    Im Jahre 1827 war Ailie Anfang Fünfzig, eine kleingewachsene Frau, vorzeitig gealtert, verhärmt durch die vielen fruchtlosen Stunden und die Sinnlosigkeit ihres Lebens: es war nun zweiundzwanzig Jahre her, daß sie ihrenMann zum letztenmal gesehen hatte. Ihre Tochter hatte geheiratet, Archie war zur Armee gegangen, Mungo junior war seiner Wanderlust erlegen – in Indien am Fieber gestorben, wo er mit seinem Regiment stationiert gewesen war. Thomas blieb unverheiratet. Er lebte weiter in Selkirk, nahe bei seiner Mutter, und teilte mit ihr die Bürde des verschwundenen Vaters, hegte mit ihr die Hoffnung, daß er eines Tages zurückkehren würde, grauhaarig und triumphierend, aus den windgepeitschten Hügeln, aus den Dünen und den Dschungeln.
    An einem kalten, klaren Morgen im Frühherbst reiste er ab. Er hatte seine Pläne heimlich gemacht, denn er sah keinen Grund, die Mutter zu ängstigen. Als sie sein Verschwinden bemerkte, wußte sie genau, was passiert war: Gatte, Bruder, Sohn. Er schrieb ihr aus Akkra, von der Goldküste. Es sei alles ganz einfach, er habe es sich genau überlegt. Er werde allein reisen, wie sein Vater damals auf der ersten Expedition, leben wie die Eingeborenen, sich nordwärts durch das Land der Aschanti und Ibo durchschlagen und bei Boussa auf den Niger stoßen. Der Harmattan wehe von Norden. Die Umstände seien ideal. Sobald er einen Führer anheuern könne, wolle er aufbrechen.
    Lange betrachtete sie das Siegel des Briefs, ehe sie ihn öffnete. Es gab kaum einen Grund, ihn zu lesen: Sie wußte, was darin stand, hätte ihn selbst schreiben können. Sie war dreiundfünfzig. Mrs.   Mungo Park. Es war beinahe komisch.
    Sie saß lange Zeit beim Fenster, der Brief lag schwer in ihrer Hand, ein fahles, fremdartiges Licht bleichte die Sträucher, die Dächer, die Bäume, bis auch aus den fernen Hügeln alle Farbe und Helligkeit gewichen war. Auf dem Regal hinter ihr saß, ölig und schwarz, die Ebenholzfigur: trächtig, obszön – noch so ein Gegenstand.
    Es kamen keine Briefe mehr.

Fußnoten
Mansong
    1
    Eine Art Tabak aus den getrockneten Blättern der Hanfpflanze,
Cannabis sativa
, den die Eingeborenen rauchen, um die sexuelle Leistungsfähigkeit zu steigern und die Träume herbeizuführen.
Wie fühlt man sich als Toter?
    2
    Vorsteher und Oberhaupt einer Stadt oder Provinz, dem die Aufsicht über den gemeindeeigenen Kornspeicher obliegt. Er ist auf Anhieb als der fette Mann inmitten einer Masse von Bohnenstangen zu erkennen.
Mo o mo inta allo
    3
    Das Land der
hon-kis
.
Hedschra
    4
    Freie, zum Islam bekehrte Mandingos, die mit lebendem Menschenfleisch handeln.
Goree (Hymne auf den Pesthauch)
    5
    In den Prozeßakten des offiziellen Verfahrens wurde dem ehemaligen Oberst in achtzehn Fällen eines Offiziers unwürdiges Verhalten vorgeworfen, darunter «zum Tee mit seinen Stabsangehörigen in einem Damenkleid aus Taft erschienen zu sein» sowie «acht Gemeine unter Androhung eines Kriegsgerichts genötigt zu haben, ihm den nackten Körper mit Staubwedeln zu reiben und hierbei ununterbrochen den Satz ‹Oh, eine gar niedre Schlange im Gras bin ich, verworfen und verachtenswert› zu wiederholen».
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