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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein
Autoren: Anne Chaplet
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hinter seinem Rücken den Vogel gezeigt – Bremer hatte es gesehen – und »Der tickt doch nicht richtig, der Willi« gesagt. Vielleicht stimmte das ja – aber Bremer war als ehemaliger Städter der festen Überzeugung, es könne gar nicht schaden, wenn auch ein knüppelharter Bauersmann mal ein bißchen Gefühl für die Kreatur entwickelte.
    »Man kann zugucken, wie es wächst.« Willi richtete den Blick in unbekannte Fernen. Genau das wird er getan haben, dachte Paul und klopfte seinem Nachbarn auf die Schulter. Bauern haben keine Zeit. Und Willi schon mal gar nicht. Nur für seine kleine Herde hatte er alle Zeit der Welt. Gestern früh um sechs war Bremer mit dem Rennrad an der Koppel vorbeigefahren und hatte ihn gesehen, wie er, die Arme aufs Gatter gelegt, seinen Tieren dabei zuschaute, wie sie mit ihren weichen Mäulern die Gräser und Kräuter aus der Wiese rupften.
    Willi war in Ordnung. Daß seine Frau dauernd an ihm herumnörgelte, hielt Bremer für ungerecht. »Und dann ist er wieder mit der Bierflasche in der Hand vor der Glotze eingeschlafen«, hatte Marianne vor ein paar Tagen geschimpft, »und jetzt hab ich die ganze Sauerei in den Sofapolstern.« Paul fand seine Nachbarin und ansonsten gute Freundin in diesem Punkt kleinlich. Willi arbeitete wie ein Pferd, hatte Humor und sah auch noch gut aus mit seinem gebräunten Gesicht und den dunklen Locken, mit den sehnigen Armen und der immer noch ansehnlichen Figur – wenn man vor Augen hatte, welche Mengen der Bauer morgens, mittags und abends zu verdrücken pflegte. Und zum Saufen kam er offenbar gar nicht erst – er schlief ja, Marianne zufolge, schon vorher ein.
    Nur die Hände, dachte Paul, als er Willi zusah, wie er die Kippe mit Daumen und Zeigefinger an den Mund hob und mit zusammengekniffenen Augen inhalierte – nur die schwieligen, rissigen, fleckigen Hände, die würde Willi nie mehr sauber kriegen. Hände, die Katzen und Hühnern das Genick umdrehen, die Mistforke in Rekordtempo schwingen und Kälbchen aus dem Mutterleib ziehen konnten. Und die verblüffend zärtlich waren, wenn er bei seinen Hochlandrindern stand und ihnen die Stirnlocken zwischen den Hörnern kraulte. Er guckte auf seine eigenen Hände. Die waren ein bißchen verkratzt, von den Rosen, aber sahen im wesentlichen noch so aus wie damals, als er in Frankfurt und nur am Schreibtisch arbeitete. Und das war auch besser so. Gigantische Pranken, die auf keine Tastatur mehr paßten, konnte er sich nicht leisten.
    »Und die anderen?« Er drehte sich so, daß der Zigarettenqualm an ihm vorbeizog.
    »Blume ist in drei Wochen dran.« Willis Augen glänzten.
    Was für eine Wandlung. Willi, der Unsentimentale. Für den das Wort »Öko« ein Schimpfwort gewesen war. Der seinen Mastschweinen in ihrem stinkenden Stall ein kurzes Leben zumutete, wie es fürchterlicher kaum vorstellbar war. Denselben Willi hatten ein paar wuschelige Rinder plötzlich in einen Tierfreund verwandelt. Noch vor eineinhalb Jahren war Willi der Kopf des Widerstands gegen den grünen Ortsbeirat Moritz gewesen, der einsam und mit wachsender Verzweiflung versucht hatte, wenigstens ein Minimum an Umweltbewußtsein im Dorf zu schaffen. Und jetzt das.
    Zugegeben: Bremer mochte Moritz nicht. Wer sich jenseits der vierzig noch immer die ergrauten Haare zum Pferdeschwanz band, war in seinen Augen lächerlich. Außerdem hielt er ihn für einen Besserwisser. Und am meisten störte ihn, daß er in Moritz eine Karikatur seiner selbst erkannte – des hundertfünfzigprozentig zum Landleben Bekehrten.
    Aber damals hatte der grüne Über-Öko einfach recht gehabt. »Es wird nachts Gülle gefahren«, hatte Moritz in der Ortsbeiratssitzung mit ganz ruhiger Stimme begonnen. Kein Bauer durfte den Inhalt von Vieh- und Hausgruben zu jeder Jahreszeit und in jeder Menge auf die Felder bringen. Aber einige Dickköpfe ließen sich von keinerlei Vorschrift davon abhalten, genau das zu tun. Es ließ auf immerhin eine Spur von Schuldbewußtsein schließen, daß sie es wenigstens nicht mehr am hellichten Tag taten.
    Moritz guckte vorsichtshalber niemanden an, als er anfügte: »Und ganz offenkundig wurde Gülle in der Flußaue abgelassen.« Im naturgeschützten Sumpfgebiet am Streitbach. Also dort, wo das Übermaß an Stickstoffverbindungen am verheerendsten wirkte.
    »Na und?« hatte Willi geantwortet und gegrinst dabei. »Ist doch alles Öko!«
    »Außerdem ist mir aufgefallen, daß sich auf dem Brandplatz am Auwiesenweg auffällig viele
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