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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein
Autoren: Anne Chaplet
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ein paar verstaubte Flaschen aus dem Keller geholt hatte. Sie war in Begleitung eines Winzers aus Geisberg gekommen. Er hatte sie beobachtet – schließlich war ein hübsches Mädchen in dieser Szene selten –, hatte zugeguckt, wie sie wiederum all die anderen beobachtete, die Weinprofis, manch einer auch schon ziemlich angestaubt, die sich um den mit einem weißen Tuch bedeckten Tisch drängten, auf dem die Raritäten präsentiert wurden, und ihre Nasen in die Gläser hielten.
    Auf ihrem Gesicht hatten sich Verblüffung und Belustigung abgezeichnet – das wunderte ihn nicht. Für Laien und aus der Distanz betrachtet, sind Weinproben seltsame Veranstaltungen. Wichtig blickende Männer blähen ihre Nüstern, pumpen die Backen auf, spitzen die Münder, nicken oder schütteln die Köpfe, schlürfen, mampfen und spucken. Eine ekstatisch quakende Horde von Ochsenfröschen. Und er gehörte dazu. Susanne hatte alle ausgelacht – auch ihn. Und das hatte ihm gefallen.
    Mann, hast du dich verguckt, alter Knabe, dachte er und rutschte tiefer in die Kissen. Er spürte, wie ihn noch heute der Gedanke an sie erregte. Und das mußte des Rätsels Lösung sein: Weil er damals im November an die junge blonde Susanne Eggers aus Bersenbrück gedacht hatte, hatte er sich betrunken. Und deshalb nichts gemerkt. Er hatte in Müller-Dernaus Keller lallend in einer Weinlache gesessen und nicht gemerkt, daß der Kerl sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr blicken ließ. Hatte statt dessen – wie oft? er wußte es nicht mehr – die gläserne Gärspirale oben aus dem Faß mit Müller-Dernaus bestem Wein genommen, den Stechheber vollaufen lassen und das Glas bis an die Oberkante mit dem roten Saft gefüllt. Und es ausgetrunken.
    Es war Susannes Naivität gewesen, die ihm gefallen hatte. Oder, besser gesagt, ihr Unwissen. »Mein Onkel hat mich mitgenommen, damit ich mal was anderes kennenlerne als Lüttje Lage«, hatte sie gesagt.
    »Lüttje Lage?« Er hatte erstaunt getan. »Ich kenne nur große Lagen.« Den Witz fand er auch heute noch gut.
    »Lüttje Lage ist Bier mit Korn!« Susanne hatte ihn angestrahlt.
    Das war’s. Soviel charmanter Unkenntnis konnte er nicht widerstehen. Er hatte ihr ein Privatissimum erteilt – er erinnerte sich noch, wie verächtlich ihn Maximilian von der Lotte angeguckt und »Predigt Nr. 23, Vers 5, Absatz 16« gemurmelt hatte. Der reine Neid.
    Er hatte ihr erklärt, warum diese Männer den Wein berochen, durchkauten, schlürften und dann wieder ausspuckten – weil das Riechen an erster Stelle kommt beim Weingenuß, der Geschmack im Mund an zweiter. Und die Kehle keine Rolle spielt. Das war das ABC des Weintrinkens: Nur die Nase kann den Duft des Weines, die Vielzahl von Aromen wirklich erfassen. Und nur in der Mundhöhle können Süße oder Säure, Perlenbildung, Temperatur, Dichte, Geschmeidigkeit und vor allem, beim Rotwein, Tanninhaltigkeit festgestellt werden. Tannine riecht man nicht; es sind die Geschmacksknospen im Mund, die uns einen Wein als hart, bitter, ledrig oder holzig empfinden lassen. Und das ist der Grund, warum der Kenner grimassiert und kaut und den einen Schluck hin und her wendet. Der Wein soll mit all den vielen Geschmacksknospen, die da drinnen auf ihn warten, in Berührung kommen.
    Sie hatte ihm geduldig zugehört und ihn mit großen blauen Augen immerfort angesehen. Obwohl sie der ganze Sermon wahrscheinlich einen feuchten Kehricht interessiert hatte. Panitz gähnte und runzelte die Stirn. Das war ja das Problem – die mangelnde Weinerziehung im Land. Wenn die Konsumenten mehr wüßten, hätten die Betrüger keine Chance!
    Aber Betrüger starben nicht aus – trotz der neuen Generation von Winzern wie Prior. Oder Blasius. Oder Müller-Dernau. Die erstklassigen Winzer hatten längst umgedacht – weg von der Massenproduktion, hin zu individuellen, qualitätsvollen Weinen. Bei denen man Wind, Wetter und Boden schmeckt, dachte er und schmatzte laut. Müller-Dernau gehörte zu der neuen Generation von Winzern, die dem deutschen Wein wieder zu Weltruhm verhelfen würden. Weltruhm – er liebte dieses Wort. Er wollte der Verkünder des neuen deutschen Weinwunders sein. Umso unnachsichtiger mußte man gegen Panscher und Betrüger vorgehen.
    Vielleicht hatte auch Müller-Dernaus Keller dazu beigetragen, daß er sich damals so selbstvergessen aufgeführt hatte. Müller-Dernaus 200 Jahre alter Gewölbekeller war groß genug, um als Gärkeller und als Lagerkeller zugleich zu dienen. Im
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