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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein
Autoren: Anne Chaplet
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Lagerkeller ruhte Flasche um Flasche, die Raritäten lagen in Wandnischen, die wie Grüfte aussahen: bestaubt und von Spinnweben überzogen und von flackernden Kerzen erleuchtet, die Müller-Dernau ansteckte, wenn er bei hohem Besuch einige seiner besseren Bouteillen öffnete. Der Keller hatte die perfekte Temperatur und Luftfeuchtigkeit, seine Wände waren bedeckt von Cladosporium cellare , dem dunkelgraugrünen Kellerpilz, der Kelleratmosphäre und -feuchtigkeit natürlich regulierte. Laien ekelten sich davor. Er aber bewunderte die Natur, die eine so häßliche, schleimige Kreatur noch nützlich sein läßt.
    Im Gärkeller hatten sich Müller-Dernaus beste Weißweine mitten im Gärprozeß befunden. Es gab kein schöneres Geräusch als das Glucksen, Rülpsen und Stöhnen, das entsteht, wenn die Gärgase aus den aufs Faß gesteckten Gärspunden und Gärspiralen entweichen. Müller-Dernau war mit der Lese spät dran gewesen, was auch gut so war, denn der Oktober war zum Schluß doch noch einmal sonnig und warm geworden, das hatte die Öchslegrade in die Höhe getrieben. Panitz war umgeben gewesen von besten Weinen bei der Arbeit. Gibt es einen schöneren Ort als einen Weinkeller?
    Er zog sich die Bettdecke bis unter das Kinn. »Das war’s«, sagte er laut. Das alles mußte zusammengewirkt haben: der vorzügliche Spätburgunder, der Gedanke an die blonde Susanne und die wohligen Geräusche des Gärkellers hatten ihn eingelullt, hatten eine perlende Euphorie in ihm aufsteigen lassen. Er hatte glücklich auf dem Boden gehockt, an ein großes, beruhigendes Faß gelehnt, den Wein im Glas kreisen und schwappen lassen und sich betrunken.
    Du Idiot, dachte er, richtete sich wieder auf und stopfte sich das Kopfkissen hinter den Kopf. Ausgerechnet ihm mußte das passieren. Dabei hatte er alles noch am Tag zuvor der hübschen Susanne erklärt.
    »Hefen verwandeln Zucker in Alkohol.« Sie hatte genickt. »Diese Gärprozesse setzen Kohlendioxid frei, das aus den Gärspunden oder Gärröhren in die Luft entweicht. Kohlendioxid verdrängt Sauerstoff, weshalb jeder vernünftige Keller gut belüftet wird – mit Ventilatoren, wenn der Keller tief liegt.« Wieder hatte sie genickt. Hoffentlich hatte sie es auch verstanden. Erst kürzlich war ein Winzergehilfe bei Reinigungsarbeiten in einem der großen Weintanks erstickt. Kohlendioxid war schwerer als Luft und konzentrierte sich unten, am Boden.
    Dummheit war eben verdammt verbreitet. Auch da, wo man Verstand vermutet hatte. Auch bei Weinkritikern von einem gewissen Renommee wie August M. Panitz – der sich gar nicht gefragt hatte, warum er in Müller-Dernaus tiefem Keller kein Ventilatorengeräusch mehr hörte. Warum Müller-Dernau nicht zurückkam. Und warum ihm so schwer und süß zumute war, so wohlig und geil. Dabei blakten die Kerzen – die auf dem mehrarmigen Kerzenleuchter waren bereits ausgegangen, den Müller-Dernau auf den Boden am Ende des langen Ganges gestellt hatte, in dem die Fässer mit dem neuen Riesling-Jahrgang standen. Die Zeichen konnten nicht deutlicher sein.
    Irgendwann war die Botschaft bei ihm angekommen. »Gärprozesse setzen Kohlendioxid frei«, hatte er Susanne erklärt. Kohlendioxid verdrängt Sauerstoff. Sauerstoffmangel macht erst euphorisch – und dann tot. Wie ein Blitz hatte ihn die Erkenntnis durchzuckt: Er mußte hier raus. Und zwar sofort.
    Panitz stöhnte auf und krampfte seine Hände um die Bettdecke. Er hatte sich so unendlich hilflos gefühlt. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis er sich hochgerappelt hatte, hoch vom kalten, glitschigen Kellerboden. Und die ganze Zeit hatten sich die Finger seiner rechten Hand um das Rotweinglas gekrampft, als ob er sich daran festhalten wollte.
    Fluchend und mit berstendem Kopf, schwankend und rutschend hatte er sich zur Kellertreppe vorgearbeitet und hätte dann fast aufgegeben: Wie sollte er da hochkommen? Na wie schon! Auf den Knien, dachte er, die Szene vor Augen. Demütig.
    Auf den Knien also war er hochgekrochen, hoch zur Tür; mit letzten Kräften hatte er sich aufgerichtet, die Klinke heruntergezogen und sich gegen die Tür gestemmt. Nichts. Die Tür war zu, verschlossen. Auf sein Klopfen und Rufen hatte niemand geantwortet. Er hatte sich hingesetzt, den Kopf auf die Brust sinken lassen und einen letzten Gedanken an Susanne geschickt.
    An Susanne? Oder hatte sich, bevor er weggedämmert war, ein anderes Gesicht vor Susannes geschoben? Das Gesicht einer anderen blonden Frau. Eva?
    Panitz schob den
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