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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein
Autoren: Anne Chaplet
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zog er sich die Gartenhandschuhe an, nahm das Paket aus dem Regal und ging wieder in den Garten.
    Es war nach einem kurzen Gewitterregen schwülwarm geworden, und man konnte den Salat, das Gras und den Rittersporn wachsen hören. Pfeifend schob er einen vergifteten Johannisbrotköder in die Tunnelöffnung und verschloß sie mit einem Stein. Wühlmäuse liebten angeblich Johannisbrot. Seltsame Vorliebe. Das Gift im Köder bewirkte innere Blutungen, an denen sie verendeten. Langsam, natürlich. Bremer schüttelte sich – aber er bereute nichts. Nur im Garten konnten sonst friedfertige Menschen hemmungslos ihre niederen Triebe ausleben. Morden, schneiden, sengen, vergiften, ertränken. Und das alles der paar Salatköpfe und Kohlrabi wegen.
    Er war nicht der einzige, der, von Mordlust gepackt, Vernichtungsfeldzüge veranstaltete. Alle Bewohner von Klein-Roda zogen regelmäßig in die Schlacht, vor allem um diese Jahreszeit, wenn kleine, schwache Kulturpflanzen umzingelt waren von Freßfeinden oder »Dreck«, wie man hierzulande Unkraut nannte. Sein Nachbar Gottfried hatte sich einen Riesenkanister auf den Rücken geschnallt, in Schutzkleidung geworfen und lief mit konzentriertem Blick den Friedhofsweg hinunter, eine lange Spritzdüse in den behandschuhten Händen. Bremer konnte die Lust im Gesicht eines Mannes sehen, der sonst mit friedfertigen Dingen wie dem Züchten preisgekrönter Zwergwyandottenhühner beschäftigt war – die rachsüchtige Lust an der Vernichtung.
    »Round up!« rief er zu seinem Nachbarn hinüber, dessen Dreiseitenhof mit der großen Linde vor dem Hoftor oben am Friedhofsweg stand. Paul wohnte unten, in einem unter die Traufe des Nachbargehöfts geduckten Haus, direkt dort, wo der Friedhofsweg auf die Hauptstraße traf. Gottfried hob mit siegesgewisser Geste den Daumen der linken Hand, drehte sich um und ging auf der anderen Seite der Straße den Weg wieder hoch. Seine Spritzdüse erfaßte jedes Kräutlein im Rinnstein und in den Ritzen der Gartenmauer. Round up klang gemütlich – nach Cowboyleben und Zigarettenwerbung. Aber so nannte sich das landesübliche Unkrautvernichtungsmittel, das man beim Raiffeisenmarkt hektoliterweise kaufen konnte. Völlig harmlos, außer für Unkraut, behaupteten hier alle. Bis auf Gottfried – »wer’s glaubt, wird selig«, pflegte der zu sagen, wenn sich jemand über seinen Schutzanzug lustig machte.
    Bremer legte die Handschuhe auf den Gartentisch, griff sich die Rosenschere, ging durchs Gartentor auf die Straße und auf dem schmalen Bürgersteig rechtsum, immer am Zaun entlang. Der Spalierapfelbaum, der dort stand, hatte nach einer üppigen Blüte viel zu viele Äpfel angesetzt. Prüfend nahm er den Baum in Augenschein und hob die Schere. Mindestens die Hälfte mußte abgeschnippelt werden, damit die anderen besser gedeihen konnten. Als der wuchtige Akkord durch das kleine Dorf dröhnte, wäre ihm die Schere beinahe aus der Hand gefallen. Er guckte zum Nachbarhaus hinüber. »Um Himmels willen, Erwin!« stöhnte er.
    Spiel mir das Lied vom Tod war wieder angesagt. Erwin, der Mann mit dem Rancherzaun um sein penibel gepflegtes Grundstück, unterlegte seine Vernichtungsfeldzüge stets mit klassischen Hits. Normalerweise erklang der Gefangenenchor aus Nabucco , wenn er auf seinem golffähigen Rasen kniete, um in Maulwurfshügel, die das Grün entweihten, komplizierte Todesmaschinen einzubauen. Heute war es ausgerechnet O Fortuna aus den Carmina Burana von Carl Orff – die Musik aus der Kaffeewerbung, ja, so kam abendländische Kultur aufs Land –, zu der er Ameisentod ausbrachte und seine mickrige Strauchrose mit Giftschwaden einnebelte. Sors immanis et inanis – ungeheures und ungewisses Schicksal. Wie passend.
    Friedliches Landleben. Bremer seufzte auf. Stille Idylle. Sanfte Natur.
    In Wirklichkeit war das Landleben, wie jeder wußte, der hier lebte, laut, grausam und gefährlich. Er steckte die Schere in die Hosentasche, lehnte sich an den Pfosten neben dem Gartentor und sah seinen Nachbarn beim Morden zu. An Tagen wie diesem wußte er daß er nie wieder in die Stadt zurück wollte. Wo sonst durfte man die Sau derart rauslassen?

3
    Wingarten am Rhein
     
    Ein Mann mit Glatze steht im Weinkeller und trinkt. Der Traum begann immer mit der gleichen Szene.
    Auf dem Schädel des massigen Mannes spiegelt sich das Licht der vielen bunten Glühbirnen, die wie eine Girlande unter der gewölbten Kellerdecke hängen. Der Mann hat die Nase in das hohe Glas mit der
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