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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein
Autoren: Anne Chaplet
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Strickjacke zwei Reihen vor ihr ganz steif werden lassen. Noch einen Laut, und der Kopf mit den akkurat gekringelten blaugrauen Locken hätte sich langsam umgedreht. Agata atmete wieder aus. Die Frau hatte ihre Wohnung tipptopp hinterlassen und sogar das Telefon abgemeldet, hatte in der Zeitung gestanden. So einer hätte man das alles doch nie zugetraut!
    Hatte die Frau nicht gewußt, welche Katastrophe sie auslösen würde? Warum war sie dafür in die Kirche gekommen? Hatte sie etwa einkalkuliert, daß sie fünf Menschen mitnehmen würde? Wer so etwas tat – konnte der noch hoffen, in den Himmel zu kommen? »Ist sie ja auch nicht. Nur bis unter die Kirchenkuppel«, flüsterte eine Stimme in Agata, die sich sofort bekreuzigte. So etwas dachte man noch nicht einmal.
    Die Orgel setzte mit einem strahlenden Akkord ein. Agata krümmte sich. So hatte die Orgel damals eingesetzt, genau so. Zum Vorspiel von »Großer Gott, wir loben dich«. Alle hatten schon das Gesangbuch aufgeschlagen, sich geräuspert, sich bereit gemacht für den Einsatz. Und dann – dieser Höllenlaut. Dieser betäubende Knall. Der gewaltige Luftdruck, der Holzstücke, Stoffetzen und Menschenteile durch den Raum peitschte. Und die entsetzliche Stille danach. Sie hatte sich neben der Bank auf dem Boden wiedergefunden. Und sah noch heute alles vor sich, wie sie es damals gesehen hatte, als sie endlich aufgestanden war: zerborstenes Holz, überall menschliche Körperteile, Blut auf dem Boden, an den Wänden. Und sie hörte die Geräusche, die Entsetzensschreie, die stöhnenden Menschen. Agata stöhnte in der Erinnerung mit, in die jubelnden Orgelklänge hinein, die Hände vors Gesicht geschlagen, die Stirn an das kühle Holz der Bank vor ihr gelehnt.
    Bevor die Gemeinde einsetzte, hatte die Frau die beiden Handgranaten gezündet, die sie sich um den Leib gebunden hatte, und sich in die Luft gesprengt. Sie mußte sofort tot gewesen sein. Laura, Martin und Therese auch. Bei der alten Else dauerte es ein bißchen länger. Noch länger brauchte das Kind, die kleine Bettine, bis sie im Himmel war.
    Agata würde immer daran denken. Das Kind, das wimmernde Kind. Wer tat einem kleinen Mädchen so etwas an? Was hatte sich die Frau dabei gedacht?
    Warum?

2
    Klein-Roda in der Rhön
     
    Paul Bremer wog das Messer in der rechten Hand. Er zögerte einen Moment. Dann beugte er sich vor und zog die scharfe Schneide durch den schlanken, glänzenden Leib. Die sich windenden zwei Teile kickte er mit der Schuhspitze an den Rand des Gartenwegs. Er bückte sich wieder, stieß die Klinge zum Säubern zweimal in die feuchte Gartenerde und griff zum Paket mit dem Schneckenkorn. Ein Häufchen neben den Salat. Ein Häufchen neben den Rittersporn. »Verendet, ihr gefräßigen Ungeheuer«, murmelte er.
    Er kannte vier sichere Arten, die Schnecken in seinem Garten umzubringen. Die Methode, sie einfach in der Mitte durchzuschneiden, war die schnellste und umweltfreundlichste. Nichts für jedes Gemüt. Die zweite Methode war auch nicht netter. Gestern abend war er durch den Garten gegangen, mit der Taschenlampe in der Hand, und hatte auf alle Schnecken, die er erkennen konnte, Salz gestreut. Und eine gehässige Befriedigung gespürt, während er zusah, wie die schlanken Tiere mit den eleganten Fühlern auf dem Kopf sich zusammenkrümmten, Blasen schlugen und langsam zerflossen. Grausam? Und ob. Aber auch Schneckenkorn, die chemische Keule, verhieß den Tieren keinen schnellen Tod. Und erst recht nicht die Bierfalle, das mörderische Maximum in Ökogartenfibeln.
    Empfinden Schnecken Schmerz? Bremer war das mittlerweile ziemlich egal – spätestens, seit er eines Abends vor vielen Jahren in einer lauen Frühlingsnacht draußen im Garten gesessen und dabei zugehört hatte, wie ganze Bataillone von Schnecken mit ihren Sägewerkzeugen seinen Salat abraspelten. Am nächsten Morgen waren von zehn Salatpflanzen nur noch Stummel zu sehen gewesen. Ein trostloser Anblick. Seither wurde bei Bremer das Essen nicht mehr geteilt – jedenfalls nicht mit Schnecken, Blattläusen und Wühlmäusen.
    Er ging zum Schuppen und stellte das Schneckenkorn wieder zurück ins Regal, in dem er ein Giftsortiment für alle erdenklichen Fälle aufbewahrte. Wo war der Wühlmausköder? Hinter dem Spritzmittel gegen Rosenrost und Mehltau, wo er nicht hingehörte. Unter den Glockenblumenbüscheln am Fliederbaum hatte er ein großes rundes Loch gesehen, wahrscheinlich der Eingang zu einem Wühlmaustunnel. Pfeifend
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