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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein
Autoren: Anne Chaplet
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reservierte.
    »Was is!« brüllte der zurück. Die beiden waren ein eingespieltes Team.
    »Essen!« brüllte Marianne.
    Willi blickte Paul an, nickte ihm zu und sagte: »Verstehste?« Paul verstand. Nichts und niemand kam zwischen Willi und seine Highlander.
    »Alles klar.« Er nickte zurück.
    Willi klopfte ihn auf den Oberarm, brüllte: »Ich komm schon!« und schlurfte um die Ecke.
    Paul sah ihm hinterher und schüttelte den Kopf. Muß Liebe schön sein. Ersatzweise nahm er den kleinen grauen Kater hoch, der sich schon seit einer Weile um seine Beine kringelte, und drückte ihn, bis das Tier protestierend mit den Pfoten fuchtelte. Dann ging auch er ins Haus.

5
    Wingarten am Rhein
     
    August M. Panitz hatte sich in seinen roten Kimono ge­wickelt, stand in der Küche und beendete seine morgendliche Teezeremonie. Der »Pussimbing«, Darjeeling erster Güte, durfte nur in einer gut vorgewärmten Kanne und höchstens zwei Minuten ziehen, damit er ihm schmeckte. Er stellte die Kanne mit dem Stövchen auf das Tablett, auf dem schon die Tasse stand, und nahm beides mit in den Wintergarten. Von Herbst bis Frühling frühstückte er hier. Die Zeitung lag schon auf dem Tisch. Agata brachte sie jeden Morgen, während er noch im Bett lag, bevor sie ihrer anderen Arbeit nachging. Heute hatte er gehört, wie die polnische Zugehfrau den Schlüssel in der Haustür umdrehte, die Stufen hinaufging, die Zimmertür öffnete und dann das Haus wieder verließ. Dann war er aufgestanden. Zeitunglesen gehörte zu einem gelungenen Morgen, auch wenn sein Vergnügen daran seit einiger Zeit gelitten hatte. War das schon die neue Rechtschreibung oder die seuchenartige Verbreitung von Legasthenie unter den Redakteuren, was ihn jeden Morgen mehr irritierte?
    Er schaltete das Radio ein – das Kulturprogramm, wenigstens dort wurden Fremdwörter richtig ausgesprochen und Sätze korrekt betont – und ließ sich in den Sessel sinken. Der Traum ließ ihm keine Ruhe. Und, wenn er es recht betrachtete, auch andere Ereignisse nicht, die er langsam in einem neuen Licht zu sehen begann. Oder war das beginnende Paranoia? Er goß sich Tee ein und faltete die Zeitung auf. Müller-Dernau jedenfalls hatte auch keine rechte Erklärung für das, was in seinem Keller passiert war. Wenigstens hatte er ihm das Leben gerettet. »Ist ja auch schon was«, brummte er und atmete den Teeduft ein.
    Er erinnerte sich nur vage an den Moment, in dem die schwere Kellertür plötzlich aufging. Es war unerträglich hell, sein Kopf schmerzte, und Müller-Dernau schrie irgend etwas, das er nicht verstand. »Was ist denn los, zum Teufel«, hatte er gemurmelt. Dann mußte er umgekippt sein. Als er wieder bei Bewußtsein war, lag er mit dem Kopf an Müller-Dernaus Bein gelehnt, ganz nah vor Augen den gelbbraunen Ripp von dessen Kordhose, die nach abgestandenem Wein roch. Fast wäre ihm schlecht geworden.
    »Dem Herrn sei Dank«, hatte Müller-Dernau ausgerufen, die Hände gefaltet, den Kopf zum Himmel gerichtet. Panitz hatte die Aufregung nicht verstanden – vor allem nicht, warum der Winzer Tränen in den Augen zu haben schien. »Kannst du mir verzeihen?«
    »Schrei doch nicht so!« hatte er gestöhnt. Müller-Dernau half ihm auf.
    »Ich muß völlig daneben gewesen sein. Ich kann gar nicht begreifen, wie das geschehen konnte!«
    Panitz verstand das auch nicht.
    »Ich muß im Hinauslaufen den Schlüssel umgedreht haben. So was ist mir noch nie passiert.«
    Ist auch besser so, dachte Panitz und nahm einen Schluck Tee. Müller-Dernau hätte schließlich auch seine Leiche finden können.
    Ein paar Tage später, als er wieder erholt war, hatten sie die Geschichte, so weit es ging, rekonstruiert. Panitz und Müller-Dernau hatten gerade mit der Faßprobe begonnen, als Elseliese hineingeplatzt war, obwohl sie wußte, daß beide bei diesem Ritual nicht gestört werden wollten. Es mußte also etwas Wichtiges sein.
    Normalerweise war Müller-Dernaus Halbtagssekretärin, die ihm die Buchhaltung machte, eine nüchterne, unaufgeregte Person. »Ihre Tochter, Herr Müller-Dernau«, hatte sie ihm laut zugeflüstert. Das hatte genügt.
    Er hatte sich hastig bei Panitz entschuldigt, war aus dem Keller gestürzt, in sein Büro gerannt, hatte nur kurz den Hörer ans Ohr gehalten – und war dann außer sich vor Angst wieder hinausgelaufen.
    »Ich hätte fast Elisabeth über den Haufen gerannt, August« – Elisabeth Klar, die Chefin der »Traube«, war eine seiner treuesten Stammkundinnen und
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