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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen
Autoren: Jo Lendle
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warf er sich etwas Wasser ins Gesicht und betrachtete dann im S piegel den seltsamen Menschen, der er war. W oran dachte der in seinem Anzug? Schaute er betreten oder verstört? Und was war das für eine Reise, die er hier unternahm? Andrea hatte ihm vorgeschlagen, die Sache angesichts der Umstände einfach abzusagen, aber im Absagen war er nicht gut. Er nahm es als dreitägige Auszeit aus seinem Leben, wofür auch immer.
    Beim Betreten des Flugzeugs gab es ein Missverständnis mit der Stewardess, die einen Fächer Zeitungen vor sich hielt wie eine Losverkäuferin. Lambert griff blind hinein und erwischte den Devoir , was sie veranlasste, ihn auf Französisch zu begrüßen. Er winkte ab, hielt dabei aber die Zeitung schon in der Hand. Sie verstand sein Wedeln als Zeichen, dass er sich doch dagegen entschieden habe, und nahm ihm das Blatt wieder ab. Das Ganze aufzuklären war Lambert zu mühsam.
    Sah man ihm nicht an, woher er kam, wohin er gehörte? Sein Fensterplatz war in der ersten Reihe Economy, daneben saßen bereits eine Frau und ein Kind, die sich über ihre Bordkarten beugten. Sie erhoben sich gleichzeitig, um ihn zu seinem Sitz zu lassen, wie Zuschauer in einem Theater. Die Stewardess ging durch den Gang, diesmal hatte sie statt Zeitungen für jeden einen Fragebogen dabei, zum Ausfüllen während des Fluges. Lambert konnte sich nicht erinnern, sich jemals so frei gefühlt zu haben, was besser klang, als es sich anfühlte. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwartete.
    Nachdem sie die Passagiere mit den Sicherheitsbestimmungen vertraut gemacht hatte, schälte sich die Stewardess aus ihrer neonfarbenen Schwimmweste und klappte den Personalsitz von der Wand. Ihr Lächeln behielt sie bei, während sie mit den Armen unter die Gurte zu schlüpfen versuchte, und weil sie nun einmal gerade in Lamberts Richtung schaute, galt das Lächeln ihm. Da erst fiel ihm auf, dass er sie die ganze Zeit über angestarrt hatte.
    Als Lambert den Blick senkte, entdeckte er einen hellen Fleck auf seiner neuen Anzughose, offenbar eine S pur eingetrockneter Milch von dem Molkereifahrzeug. Er schaute sich um, aber niemand sah zu ihm. Mit etwas S pucke rieb er sich über die Hose, bis der Fleck verschwunden war. Aber sobald der S peichel trocknete, zeigte sich der Umriss von Neuem. Und außer dem Anzug hatte er nichts dabei. Lambert legte das Blatt mit dem Fragebogen darüber. Es war immer gut, einen Trick parat zu haben.
    Ist die Rückkehr in Ihr Heimatland gesichert? Dient Ihre Reise einem anderen Zweck als dem Vergnügen? Könnten Sie durch Ihre Einreise die physische oder psychische Gesundheit kanadischer Staatsbürger gefährden? Was machen Sie beruflich? Verfügen Sie über ausreichende Mittel, um alle denkbaren Kosten Ihres Aufenthalts zu decken? Planen Sie die Ausübung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit?

2
    Â»Ich kann auch nicht zaubern.«
    Â»Sollst du aber. Gibt es wirklich keine Pferde mehr?«
    Â»Tut mir leid, Pferde sind alle.«
    Â»Aber ich wünsche es mir.«
    Lambert schaute aus dem Fenster, um nicht lachen zu müssen. In der Scheibe sah er noch immer die Stewardess, als winziges S p iegelbild. Sie erhob sich seufzend und strich ihren Rock glatt, wie nach einem kleinen Abenteuer. Dann stand sie vor dem Kind und schüttelte den Kopf. Die S p iegelung verzerrte ihr Bild, was sie dicklich aussehen ließ. Lambert wünschte ihr, sie würde sich niemals so sehen.
    Hinter dem Kabinenfenster war noch immer Nacht, aber der Himmel hatte bereits einen blauen Rand. Unter ihnen die Lichter eines Dorfes, eine Reihe langsam vorwärtsgleitender Scheinwerfer. Am Horizont erste S puren von Dämmerung. Sie waren eben erst gestartet.
    Lambert drehte sich zurück ins elektrische Licht der Maschine. Er zwinkerte der Stewardess zu. Sie zwinkerte zurück. Dann seufzte sie, zog das Halstuch zurecht und hockte sich wieder hin, eine Hand an der Schachtel mit dem S pielzeug, um zu zeigen, dass es nun genug sei. Das Mädchen ließ sich nicht davon beirren. Vornübergebeugt saß die Kleine neben ihm, fixierte mit beiden Ellenbogen die riesige Schachtel auf ihrem Schoß, während sie weiter in den S pielsachen kramte, unentschieden, welches sie wählen sollte. Eines nach dem anderen nahm sie in die Hand, betrachtete es ausführlich und legte es dann zurück.
    Lambert stieß sie an und streifte seine Ärmel hoch, aus
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