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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen
Autoren: Jo Lendle
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zurück, um einen letzten Blick über die Sitzreihen zu werfen. Sein Fuß landete auf dem Pferd, er merkte es nicht einmal. Auf der Stiefel s pitze machte er kehrt und lief seinen Kameraden hinterher.
    Lambert hörte ein kleines Krächzen aus Saschas Sitz. Die Anschnallzeichen erloschen, sie löste den Gurt und s prang hin, um ihr S pielzeug aufzuheben. Das Pferd war nicht mehr zu gebrauchen. Es blieb das einzige Opfer.
    Zu Fuß gingen sie über das Rollfeld. An dem kleinen Terminal prangte der Schriftzug SHANNON IRELAND. Hier also waren sie. Ein überwältigendes Gefühl von Rettung bei jedem Schritt. Als wäre alles, was ihnen von nun an widerfuhr, ein Kinder s piel gegen die Angst, der sie entkommen waren.

5
    Das Przewalski-Pferd hat als einziges Wildpferd seine Entdeckung durch den Menschen überlebt. Als Nikolai Michailowitsch Przewalski das Tier mit der auffälligen Stehmähne zum ersten Mal sah, am Rande der Wüste Gobi, hatten beide, Pferd und Entdecker, ihre beste Zeit bereits hinter sich. Das war 1878. Nikolai Michailowitsch, ein russischer General und geachteter Geheimagent des Zaren, der auf zahllosen Reisen die unerkundeten Gebiete der Mongolei kartografiert hatte, um mögliche Aufmarschwege für die Invasion Indiens und des Empire zu erkunden, verstarb bald nach der Begegnung. Bleibenden Nachruhm stifteten weder seine tagein, tagaus angestellten magnetischen Messungen noch die umfangreiche mineralogische Sammlung – sondern ausgerechnet das Pferd, das fortan nach ihm hieß.
    Doch auch mit dem Tier ging es bergab. Von kirgisischen Jägern des Fleisches wegen geschossen, verringerte sich seine Zahl rasch, bis es in freier Wildbahn schließlich nicht mehr zu finden war.
    Schon kurz nach Przewalskis Entdeckung jedoch hatte sich Friedrich von Falz-Fein einen Hengst und zwei Stuten auf sein Gut in der Ukraine bringen lassen. Zudem hatte der Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck eine Expedition unternommen, um einige Exemplare zu fangen. Von den wenigen Pferden, die Tran s p ort, Eingewöhnung sowie die Auszehrungen der Weltkriege überlebten, stammten alle s p äteren Nachkommen ab.
    Also auch die in der Kiste. Felicitas Touchburn versuchte einen Blick durch die Belüftungsluke an der Oberseite der Holzbox zu werfen, aber sie reichte nur gerade bis über die Kante. Felicitas schnalzte mit der Zunge und machte leise »Ho, ho«, wie sie es immer tat, wenn sie die Aufmerksamkeit eines Tieres gewinnen wollte, aber nichts rührte sich. Sie rüttelte am Deckel der Kiste. Er bewegte sich kein Stück. Ungeduldig sah sie sich nach etwas um, womit sich die Bretter aufhebeln ließen. Die halbleere Halle, über das Rolltor gepinselt AIR CARGO MONTREAL , überall standen die bunten Frachtboxen der Kuriergesellschaften herum wie viel zu leicht versteckte Ostereier. Nichts, das als Hebel taugte. In einer Ecke stand, die Räder in Planen verschnürt, der Traktor, auf dessen Fahrersitz sie vorhin den mitgebrachten Salat gegessen hatte. Sie holte ihre Gabel heraus und leckte den Rest der Sauce ab. Nach kurzem Kampf gab der Deckel nach.
    Fe stellte sich auf die Zehen s p itzen. Sie roch die Tiere sofort. Ein Schnauben, ein Schnaufen, dann merkte sie, dass auch sie vor Aufregung schneller atmete. Das Scharren der Hufe, die feuchte, dunkle Wärme, die ihr entgegenschlug. Der Geruch nach Stroh, nach dem Schweiß und dem Unrat der Pferde, nach ihrer Angst. Sie rochen wilder als die Pferde, die Fe kannte.
    Es half nichts, sie war nicht groß genug, um wirklich in die Kiste hineinschauen zu können. Also zog sie sich am rauen Holz der Oberkante hinauf – und wurde plötzlich nach hinten gerissen. Ein kleiner Aufschrei, eher Schreck als Schmerz, dann war sie schon auf den Füßen gelandet und stieß gegen eine weiche Wand. Beim Umsehen entpuppte die Wand sich als kleines, dickes Männchen, offenbar ein Inder. Zur Uniform des Flughafens trug er einen violetten Turban und blähte mürrisch die Nasenflügel. Noch immer hielt er ihren Gürtel umklammert.
    Â»Was machen Sie hier?«
    Â»Ich hole die Pferde.« Fe löste sich aus seinem Griff und klopfte ihre Hände ab. »Was reißen Sie mich einfach herunter?«
    Die Augen des Mannes waren so schwarz, dass keine Pupillen zu erkennen waren. Vielleicht gab es gar keine.
    Â»Keiner holt hier etwas ohne meine Genehmigung.« Er öffnete seine Kunstledermappe und zog
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