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Was soll denn aus ihr werden?

Was soll denn aus ihr werden?

Titel: Was soll denn aus ihr werden?
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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nötigen Gerätschaften samt dem Farbenkasten auf den Boden gelegt, sich selbst auf die Mauer geschwungen und schaute schweigend, wie der Vater, in das sonnige Land hinaus.
    »Hast du diese Heimat lieb, Dori?« fragte der Vater nach einer Weile.
    »O ja, so schön ist es gewiß sonst nirgends auf der Welt!« rief das Kind schnell aus.
    »Ja, es ist wohl schön hier, so schön« – wiederholte der Vater und blickte wieder still sinnend über die Inseln nach der fern verschwimmenden blauen Flut hin.
    »Willst du denn gar nicht malen heute, Vater?« fragte Dori endlich verwundert, nachdem eine lange Zeit hingegangen war, ohne daß der Vater gesprochen, noch sich gerührt hatte. Daran war das Kind nicht gewöhnt.
    »Jawohl, wir wollten ja malen«, sagte der Vater, so als käme er von weit her zu diesem Gedanken und in die Gegenwart zurück. »Dort unten auf den bemoosten Steinenwollen wir uns niederlassen; da müssen die Schneeberge auch noch mehr zum Vorschein kommen.«
    Dori folgte dem Vater gegen die Kapelle zurück, wo man um die Mauer herum zu den Steinen niedersteigen konnte. Hier wurde die beste Stelle ausgewählt. Auf dem breiten, bemoosten Felsstück konnte man sich bequem niederlassen und keine Schranke trat hier der vollen Aussicht über das Tal in den Weg. Der Vater hatte recht gehabt. Im Westen stiegen völlig klar die weißen Gipfel der hohen Simplonberge empor und schlossen den Talgrund ab, während im Osten die dunkle Felsenmasse des Monte serro hoch in den blauen Himmel ragte und den See umschloß. Drüben glänzten die Türme und Zinnen von Baveno in der Morgensonne und drüber hin erhob sich schützend und umrahmend der grüne Motterone mit seinen sonnigen Weiden, auf denen ringsum das Morgenlicht schimmerte. Der Maler hatte seinen Pinsel zur Hand genommen, aber es war, als ob ihm heute die Bilder von innen so lebendig vor die Augen träten, daß diejenigen von außen gar nicht bei ihm eindringen konnten. Nach wenigen Strichen legte er seinen Pinsel wieder hin und blickte in Gedanken versunken auf den Moosgrund zu seinen Füßen.
    »Vater, warum sagst du gar nichts? Soll ich dir etwas erzählen?« fragte Dori, die eine so lange Pause noch nicht erlebt hatte.
    »Ja, tu du so«, entgegnete der Vater und nahm den Pinsel wieder auf. Nun fiel dem Kinde ein, daß es seine Begegnung von gestern mit der jungen Dame dem Vater noch gar nicht erzählt hatte, und eifrig begann es, das Zusammentreffen zu schildern. Alle Worte wußte es noch genau, die gesprochen worden waren. Dann zog es das kleine Buch aus der Tasche, das es da hineingesteckt hatte, und zeigte dem Vater das Lied, dessen Anfang es dem Fräulein hatte vorlesen müssen. »Wollen wir es einmal singen, Vater?« fragte Dori. Er nahm das kleine Buch in die Hand und las den Namen, der in zierlicherSchrift auf dem ersten Blatte geschrieben stand: Helene von Aschen. Dann ließ er seine Augen über die Noten gleiten und begann leise zu singen. Mit heller Stimme fiel Dori ein. Als der erste Vers gesungen war, legte der Vater das kleine Buch in Doris Hand zurück. »Sing du weiter, ich kann nicht singen heute«, sagte er.
    »So will ich dir etwas singen, das du gerne hörst, das freut dich besser«, meinte Dori. Sie setzte sich neben dem Vater auf dem Stein zurecht und begann in hellen, weichen Tönen ihr Lied:
    »Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar,
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war.
Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang,
Die den Frühling wieder bringt,
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang
Es jetzt noch klingt?
O du Heimatflur, o du Heimatflur,
Laß zu deinem heil'gen Raum
Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entfliehn im Traum!«
    Das Kind hielt plötzlich inne; es hatte den Vater an- geblickt. Er hielt die Hand über die Augen gebreitet, große Tränen quollen darunter hervor. »Vater, du weinst«, rief das Kind bestürzt aus. »Warum weinst du? Du hast noch nie geweint.«
    Der Maler war aufgestanden; einen Augenblick hatte er sich noch abgewandt, dann kehrte er sich zu dem Kinde: »Komm, wir gehen zur Mutter«, sagte er, Dori bei der Hand nehmend, »wir wollen mit ihr sprechen. Ich möchte mit euch heimreisen, dorthin, wo ich daheim war. Ich habe dir ja viel erzählt von dem kleinen Fischerdorf und wie ich dort am Strande zuschaute, wie die hohen Meereswellen heranstiegen mit dumpfem Brausen von ferne und näher und näher mit lautem Donnerrollen.Komm, Kind, komm!« Der Maler
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