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Was sie nicht weiss

Was sie nicht weiss

Titel: Was sie nicht weiss
Autoren: Simone van Der Vlugt
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vorher nach der Ausbildung im Streifendienst in Amsterdam – hat Lois so manches gesehen, aber noch nie hat ein Mensch sich buchstäblich vor ihren Augen umgebracht. Das eine Mal, dass sie bisher schießen musste, hat niemanden das Leben gekostet. Sie hatte einen Einbrecher ins Bein geschossen, um ihn an der Flucht zu hindern.
    Bei der Kriminalpolizei zu arbeiten war schon immer ihr Traum. Nach dem Abitur hat sie die Polizeiakademie in Amsterdam besucht und ihre Ausbildung zügig absolviert. Jetzt, mit einunddreißig Jahren, ist sie Polizeihauptmeisterin bei der Dienststelle Noord-Holland Noord und mit der Aufklärung von Kapitalverbrechen befasst. Bis auf wenige Ausnahmen ist Fred ihr fester Partner, und anfangs war er auch ihr Mentor. Er nahm sie ins Schlepptau und brachte ihr alles Nötige bei. Inzwischen sind sie so gut aufeinander eingespielt, dass sie sich mit einem Wort, einem Gesichtsausdruck oder einer Geste verständigen können.
    Als Fred vor Kurzem sagte, er wolle vorzeitig in Rente gehen, war Lois schockiert gewesen. Sie hat sich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnt, dass er mit seiner ruhigen, verlässlichen Art bald nicht mehr an ihrer Seite sein wird. Vor allem an Tagen wie heute wird ihr das schmerzlich bewusst.
    »Hätte man dir bloß nicht dieses verflixte Angebot mit dem Vorruhestand gemacht«, sagt sie und greift nach ihrem Colaglas. »Immer hast du gesagt, du würdest dich dann totlangweilen, und jetzt hörst du auch noch früher auf als nötig. Ich rette dich nicht, wenn du demnächst zu Hause zwischen den Geranien eingehst, nur damit du’s weißt!«
    Fred grinst breit und wischt sich den Bierschaum vom Schnurrbart. »Keine Sorge, Nanda kennt sich mit Erster Hilfe aus und kümmert sich Tag und Nacht um mich.«
    »Das ist es ja! Wenn du mich fragst, hast du das nach spätestens drei Monaten gründlich satt.«
    »Ach was, wir bleiben doch nicht die ganze Zeit zu Hause. Wir wollen reisen. Nanda hat schon Prospekte von Wohnmobilen besorgt, wir brauchen uns bloß noch eins auszusuchen.«
    »Sag jetzt bitte nicht, dass ihr in Benidorm überwintern wollt, sonst lass ich dich einweisen!«
    »Was spricht gegen Benidorm?«
    »Alles! Du kannst doch nicht ohne deinen Wintersport. Schlittschuhfahren, Langlaufen …«
    »Stimmt. Wenn wir von der spanischen Sonne genug haben, fahren wir einfach nach Österreich weiter. Wir sind ja frei – und fröhlich.« Fred lacht erst, wendet sich dann aber mit plötzlich ernster Miene an Lois: »Weißt du, darum geht es mir letztlich: um die Freiheit. Die Möglichkeit, längere Zeit unterwegs zu sein, ohne vorher zu buchen und ohne festzulegen, wann man wieder nach Hause kommt. Einfach der Nase nach und schauen, wohin es einen verschlägt. Kein Piepser, der einen von Geburtstagsfeiern oder vom Essen mit Freunden wegruft. Vor allem Nanda wird es guttun, und nachdem sie so viele Jahre zurückstecken musste, hat sie das auch verdient. Ich hab mich für den Vorruhestand entschieden, damit wir gemeinsam noch was vom Leben haben.«
    Sekundenlang bleibt es still. Lois nimmt ihr Glas, um einen Schluck zu trinken.
    »Ich verstehe dich ja«, sagt sie schließlich. »Und du hast auch vollkommen recht. Es ist nur so, dass du mir verdammt fehlen wirst. Wer weiß, mit wem ich dann zusammenarbeiten muss.«
    »Mit einem blutigen Anfänger, so wie du früher. Einem, dem beim Schießen die Hand zittert, der am Tatort aus Versehen Spuren zertrampelt und nach dem Anblick der ersten verwesten Leiche tagelang von der Rolle ist.« Fred schmunzelt.
    Lois versetzt ihm einen Rippenstoß. »So schlimm war ich aber nicht!«
    »Noch viel schlimmer! Weißt du noch, als ich in Urlaub war und du allein losmusstest, weil jemand gemeldet hatte, unter einer Brücke liege eine Leiche? Den ganzen Laden hast du kirre gemacht, weil du geglaubt hast, jeder bis hin zum Bürgermeister müsse vorab darüber informiert werden.«
    »Ja, ja, schon gut …« Lois ist das Thema sichtlich unangenehm, doch Fred redet unbeirrt weiter.
    »Ich wär zu gern dabei gewesen, als der Mann wieder zu sich kam. Er hat sich bestimmt zu Tode erschrocken über die Leute in den weißen Schutzanzügen.« Die Geschichte hat Fred damals prächtig amüsiert, und noch heute kann er sich darüber ausschütten.
    »Hast du fürs Wochenende was Nettes vor?«, fragt sie, um ihn abzulenken.
    »Nanda will Wohnmobile anschauen, also werden wir wohl den ganzen Samstag in irgendwelchen Showrooms verbringen. Und du?«
    Lois zieht ein Gesicht.
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