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Was sie nicht weiss

Was sie nicht weiss

Titel: Was sie nicht weiss
Autoren: Simone van Der Vlugt
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wie früher spontan durchs Zimmer tanzte oder sich über irgendeinen dummen Witz kaputtlachte. Aber sie hat sich nach ihrer Heirat dem neuen Status angepasst und trägt jetzt beispielsweise Kleider, über die sie sich früher gemeinsam lustig gemacht haben. Seit Neuestem zieht Tessa sich sogar um, bevor sie ihren Hund ausführt: Die teure Markenhose pimpt sie dann mit edlen Lackstiefeln und einem Kaschmirponcho auf, den sie – wie die anderen Frauen der Gegend – lässig über den Designerblazer drapiert. Jeans hat sie nach wie vor im Kleiderschrank, doch die stammen nun aus Geschäften, die sie und Lois früher nach einem Blick auf die Preisschilder fluchtartig verlassen haben.
    Zu allem Überfluss hat Tessa auch noch versucht, Lois in den Sprachgebrauch des Adels einzuweihen, der ihr immer noch undurchschaubar scheint. Wenn einem Baron das Essen schmeckt, sagt er nicht, es sei »lecker«, sondern »köstlich« oder »sehr gut«, und »das mag ich nicht« ist ein absolutes No-Go.
    Wer glaubt, vornehm zu reden reicht, läuft große Gefahr, gleich ins nächste Fettnäpfchen zu treten, denn den Ab schluss eines Menüs bildet nicht das Dessert, sondern schlicht der Nachtisch, und man geht nicht etwa auf die Toilette, sondern aufs Klo.
    Der Etikette zufolge gilt es als unhöflich, andere auf sprachliche Ausrutscher hinzuweisen, sie werden geflissentlich ignoriert. Als Lois Guido vor einiger Zeit einmal nach den Dos und Don’ts des adeligen Soziolekts gefragt hat, bekam sie eine so lange Aufzählung von Wörtern und Wendungen zu hören, dass sie beschloss, es gar nicht erst zu versuchen.
    Tessa hingegen hat den hochherrschaftlichen Sprachgebrauch weitgehend übernommen, ob aus eigenem Antrieb oder weil Guido ihr das nahegelegt hat, ist Lois nicht so recht klar.
    Jedenfalls haben die Schwestern sich immer weniger zu sagen. Tessa ist zwar immer noch nett und herzlich, aber sie lebt in einer anderen Welt, einer Welt, in der man Kurztrips nach Bali macht, wo man in Fünfsternehotels logiert, um mal eben auszuspannen, oder sich darüber aufregt, dass der Swimmingpool im Garten schon wieder undicht ist.
    Wenn Lois bei ihr und Guido eingeladen ist, tut sie zwar interessiert, aber wirklich mitreden kann sie bei solchen Dingen nicht. Ihre Welt sieht völlig anders aus. Sie ist täglich mit Verbrechen konfrontiert. Und wenn sie nachts mal nicht schlafen kann, dann wegen eines Mordopfers, das sein Leben noch vor sich hatte, oder wegen eines Juweliers, der sein Geschäft aufgegeben hat, nachdem er innerhalb kurzer Zeit zwei Mal überfallen und mit der Pistole bedroht wurde.

4
    Die Schiebetür aus Glas mit Facettenschliff ist offen, sodass der Living, wie Guido van Sevenhuysen das Wohnzimmer nennt, und der großzügige Eingangsbereich nun einen ballsaalgroßen Raum bilden.
    Guido hat seinen Pullover zwar lässig über die Schultern gehängt, dennoch ähnelt er einem Herrscher, der die Schar der Gratulanten an sich vorbeidefilieren lässt. Neben ihm steht Tessa, zierlich und blond, in einem eleganten roten Kleid, das zweifellos ein Vermögen gekostet hat. Eigentlich hat Lois keine Lust, sich anzustellen, aber was bleibt ihr übrig? Zum Glück bemerkt Tessa sie und winkt sie nach vorn.
    Schnell geht Lois an den anderen vorbei und umarmt ihre Schwester zur Begrüßung.
    »Fantastisch, wie hier alles hergerichtet ist«, sagt sie. »Es wird bestimmt ein großartiges Fest.«
    »Ja, nicht wahr? Der Eventmanager hat sich alle Mühe gegeben, aber ich war natürlich auch nicht untätig.«
    Guido wendet sich zwischen zwei Gästen seiner Schwägerin zu.
    »Lois! Wie schön, dass du gekommen bist!« Er beugt sich zum üblichen Wangenkuss vor.
    »Alles Gute zum Geburtstag, Guido. Ich habe hier etwas für dich.« Sie hält ihm ein Päckchen hin.
    »Sei so nett und leg es auf den Geschenketisch. Zum Auspacken komme ich erst später. Ein Trubel ist das hier! Ich wusste gar nicht, dass ich so viele Freunde habe.« Guido lacht. »Alles in Ordnung bei dir, meine Liebe? Das Kleid steht dir übrigens hervorragend. Ist doch mal was anderes als immer diese öde Polizeiuniform, oder?«
    »Ich trage keine Uniform«, sagt Lois. »Ich bin bei der Kripo.«
    »Ach ja, stimmt. Und wie läuft es so? Habt ihr schon wieder einen Mörder gefangen?« Er späht bereits über ihre Schulter zu den Wartenden.
    »Heute ausnahmsweise nicht. Ich leg dann mal das Päckchen ab.« Sie lächelt Guido und ihrer Schwester zu und geht weiter.
    An der Wand steht unter einem
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