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Was Pflanzen wissen

Was Pflanzen wissen

Titel: Was Pflanzen wissen
Autoren: Daniel Chamovitz
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Licht antworten . Die komplexen Signale, die von den vielfältigen Photorezeptoren ausgehen, erlauben es einer Pflanze, ihr Wachstum in einer veränderlichen Umgebung optimal zu steuern, genau wie unsere vier Photorezeptoren es unserem Gehirn ermöglichen, Bilder zu erzeugen, die uns wiederum befähigen, unsere wechselnde Umgebung zu deuten und auf sie zu reagieren.
    Weiten wir unseren Blickwinkel ein wenig und halten fest: Pflanzliches Phytochrom und menschliches rotes Photopsin sind nicht identische Photorezeptoren – zwar absorbieren beide rotes Licht, aber sie sind verschiedene Proteine mit unterschiedlicher Chemie. Was wir sehen, wird durch Photorezeptoren vermittelt, die sonst nur bei Tieren zu finden sind. Was eine Narzisse sieht, wird durch Photorezeptoren vermittelt, die nur Pflanzen besitzen. Die pflanzlichen und die menschlichen Photorezeptoren gleichen sich lediglich darin, dass sie jeweils aus einem Protein bestehen, das mit einem chemischen Farbstoff verbunden ist, der das Licht absorbiert – eben in ihrer physikalischen Funktionsweise.
    Doch obwohl Pflanzen und Tiere sich seit Milliarden von Jahren unabhängig voneinander entwickelt haben, besitzen ihre Sehsysteme auch einige Gemeinsamkeiten. Sowohl Pflanzen als auch Tiere und Menschen haben einen Rezeptor für blaues Licht, den man Cryptochrom nennt. *3 / 16 Cryptochrom hat keine Auswirkungen auf den Phototropismus von Pflanzen, hat aber eine Reihe von anderen Funktionen für die Regulierung des Pflanzenwachstums. Unter anderemkontrolliert es die innere Uhr einer Pflanze. Pflanzen haben, ebenso wie Tiere und Menschen, eine innere Zeitregulierung, die man als »circadiane Uhr« bezeichnet; sie ist auf reguläre Tag-Nacht-Zyklen abgestimmt. Bei uns regelt diese innere Uhr alle Bereiche unseres Lebens: wann wir hungrig sind, wann wir zur Toilette gehen müssen, wann wir müde werden, wann wir uns energiegeladen fühlen. Diese täglich auftretenden Wechsel im Verhalten unseres Körpers nennt man circadiane Rhythmen, weil sie selbst dann ungefähr im 24-Stunden-Rhythmus weiterwirken, wenn wir uns in einem geschlossenen Raum aufhalten, in den niemals Sonne dringt. Wenn wir um die halbe Welt fliegen, bringt das den circadianen Rhythmus aus dem Takt, weil die Tag-Nacht-Signale nicht mehr stimmen; dieses Phänomen bezeichnen wir als Jetlag. Die circadiane Uhr kann durch Licht wieder richtig eingestellt werden, aber das dauert einige Tage. Wenn wir viel Zeit draußen im Licht verbringen, hilft uns das daher, uns schneller vom Jetlag zu erholen, als wenn wir in einem dunklen Hotelzimmer bleiben.
    Cryptochrom ist der Rezeptor für blaues Licht, der in erster Linie dafür zuständig ist, unsere circadianen Uhren bei Tageslicht neu zu stellen. Cryptochrom absorbiert blaues Licht und signalisiert den Zellen, dass jetzt Tag ist. Auch Pflanzen haben innere circadiane Uhren, die viele Prozesse regeln, darunter die Bewegung von Blättern und die Photosynthese. Wenn wir den Tag-Nacht-Zyklus einer Pflanze künstlich verändern, erfährt sie ebenfalls einen Jetlag und braucht einige Tage, um sich umzustellen. Wenn sich beispielsweise die Blätter einer Pflanze am Spätnachmittag senken und am Morgen heben, führt eine Umkehrung ihresTag-Nacht-Zyklus anfangs dazu, dass sie ihre Blätter im Dunkeln hebt (zur bisherigen Morgendämmerung) und sie bei Licht senkt (als es bisher Abend wurde). Doch innerhalb weniger Tage passt sich das Heben und Senken der Blätter an den neuen Hell-Dunkel-Rhythmus an.
    Das pflanzliche Cryptochrom spielt ebenso wie das Cryptochrom von Fruchtfliegen und Mäusen eine wichtige Rolle bei der Koordinierung von externen Lichtsignalen und innerer Uhr. 17
    Auf dieser elementaren Ebene der Kontrolle des circadianen Rhythmus durch blaues Licht »sehen« Pflanzen und Menschen im Wesentlichen auf dieselbe Weise. Aus einem evolutionären Blickwinkel betrachtet, ist das gar nicht so überraschend. Circadiane Uhren haben sich sehr früh in der Evolution bereits bei einzelligen Organismen entwickelt, lange ehe sich Tier- und Pflanzenreich voneinander getrennt haben. Die ursprünglichen Zeitgeber hatten wahrscheinlich die Aufgabe, die Zellen vor Schäden durch UV-Strahlung zu schützen. In dieser frühen inneren Uhr überwachte ein Ur-Cryptochrom das Licht in der Umgebung und verwies die Zellteilung in die Nacht. Selbst heute finden sich in den meisten einzelligen Organismen, darunter auch Bakterien und Pilzen, noch relativ einfache Uhren. Die Evolution der
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