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Was Pflanzen wissen

Was Pflanzen wissen

Titel: Was Pflanzen wissen
Autoren: Daniel Chamovitz
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Lichtwahrnehmung entwickelte sich aus diesem gemeinsamen Photorezeptor in allen Organismen und spaltete sich dann in die beiden verschiedenen Sehsysteme auf, die Pflanzen heute von Tieren und Menschen unterscheiden.
    Noch überraschender ist aber vielleicht die Tatsache, dass Pflanzen auch riechen können …

Was eine Pflanze riecht
    Man sah, dass Fels sich regt’ und Bäume sprachen.
    Shakespeare, Macbeth
    Pflanzen riechen. Offenkundig senden Pflanzen Düfte aus, zu denen sich Tiere und Menschen hingezogen fühlen, aber sie riechen auch ihre eigenen Düfte und die ihrer Nachbarn. Pflanzen wissen es, wenn ihre Früchte reif sind, wenn ihr Nachbar vom Gärtner mit der Schere gestutzt oder von einem gefräßigen Käfer angefressen wird: Sie riechen es. Manche Pflanzen können sogar den Geruch einer Tomate vom Geruch des Weizens unterscheiden. Im Gegensatz zu der großen Bandbreite an visuellen Reizen, die eine Pflanze wahrnehmen kann, ist ihr Spektrum beim Riechen zwar begrenzt, aber ihr Geruchssinn ist hochsensibel und liefert dem lebendigen Organismus zahlreiche und vielfältige Informationen.
    Wenn Sie das Wort »Riechen« in einem heutigen Wörterbuch nachschlagen, dann finden Sie es als die Fähigkeit definiert, »Duft oder Geruch durch Stimuli wahrzunehmen, die die olfaktorischen Nerven reizen«. 18 »Olfaktorische Nerven« kann man leicht als die Nerven verstehen, die die Riechrezeptoren in der Nase mit dem Gehirn verbinden. Bei der Geruchswahrnehmung sind die Reize kleine Moleküle, die in der Luft gelöst sind. An unserem menschlichen Geruchssinn sind diejenigen Zellen in der Nase beteiligt, die in der Luft schwebende chemische Stoffe empfangen, und außerdem unser Gehirn, das diese Information verarbeitet, damit wir auf die unterschiedlichen Gerüche reagieren können. Wenn Sie beispielsweise am einen Ende eines Raums eine Flasche Chanel Nº 5 öffnen, dann riechen Sie es auf der anderen Seite, weil bestimmte Duftstoffe aus dem Parfum entweichen und sich im Raum verteilen. Die Moleküle sind dann nur in sehr geringen Mengen vorhanden, doch damit der neue Duft wahrnehmbar wird, reicht es, dass sich ein einziges Molekül an einen einzigen Rezeptor bindet.
    Die Ausstattung unseres Körpers für die Wahrnehmung von Gerüchen unterscheidet sich von der, die wir für den Empfang von Lichtreizen haben. Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, brauchen wir nur vier Klassen von Photorezeptoren, die zwischen Rot, Grün, Blau und Weiß unterscheiden, um die ganze Palette an Farben zu sehen. Beim Geruchssinn besitzen wir jedoch Hunderte unterschiedlicher Rezeptortypen, von denen jeder für eine spezifische flüchtige chemische Substanz bestimmt ist.
    Die Verbindung eines Riechrezeptors in der Nase mit einer chemischen Substanz funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Jeder Stoff hat seine ganz bestimmte, individuelle Molekülform, die zu einem speziellen Proteinrezeptor passt, genauso wie jeder Schlüssel einen individuellen Bart hat, der in ein bestimmtes Schloss passt. Nur dieeine passende chemische Substanz kann an den passenden Rezeptor binden. Wenn das geschieht, wird eine Kaskade von Signalen ausgelöst, die damit endet, dass ein Neuron im Gehirn feuert, um uns wissen zu lassen, dass der Rezeptor stimuliert wurde. Das interpretieren wir dann als einen bestimmten Geruch. Wissenschaftler haben Hunderte von elementaren Aromastoffen registriert, wie etwa Menthol (die Hauptkomponente im Duft von Pfefferminze) und Putrescin (das für den Fäulnisgeruch verantwortlich ist, den Aas verströmt). Aber wenn wir ein bestimmtes Aroma riechen, dann meist als Ergebnis einer Mischung von mehreren Substanzen. Beispielsweise verursacht Menthol nur rund die Hälfte des Pfefferminzduftes, der Rest stammt aus einer Kombination von über 30 weiteren Substanzen. Aus diesem Grund können wir das Bouquet einer hervorragenden Spaghettisoße oder eines tiefroten Weins oder den Duft eines neugeborenen Babys auf so vielerlei Weise beschreiben.
    Was aber geschieht in einer Pflanze? Die Wörterbuch-Definition schließt Pflanzen aus der Diskussion aus. Sie haben in unserer traditionellen Auffassung vom Geruchssinn keinen Platz, weil sie kein Nervensystem besitzen, und die Geruchswahrnehmung einer Pflanze findet offenkundig ohne Nase statt. Aber wir wollen die Definition hier ein wenig dehnen und sagen, Riechen sei »die Fähigkeit, Duft oder Geruch durch Stimuli wahrzunehmen«. Welche Gerüche nimmt eine Pflanze dann wahr, und wie
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