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Was Pflanzen wissen

Was Pflanzen wissen

Titel: Was Pflanzen wissen
Autoren: Daniel Chamovitz
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gelangen, so bezeichnet man etwa Iris und Gerste als Langtagpflanzen. Diese Entdeckung bedeutete, dass die Bauern jetzt die Blüte nach den Erfordernissen ihres Zeitschemas manipulieren konnten, indem sie die Lichtmenge kontrollierten, die eine Pflanze erhielt. Bald kamen Bauern in Florida darauf, dass sie viele Monate lang Maryland-Mammoth -Tabak wachsen lassen konnten (ohne die Beeinträchtigung durch den Frost, den es in Maryland gab) und dass die Pflanzen irgendwann um die Mitte des Winters auf den Feldern blühen würden, wenn die Tage am kürzesten waren.
Welchen Unterschied ein (kurzer) Tag macht
    Das Konzept des Photoperiodismus löste bei den Wissenschaftlern eine Flut von Aktivitäten aus. Zahlreiche Fragen drängten sich auf: Messen Pflanzen die Länge des Tages oder die der Nacht? Und welche Lichtfarben sehen Pflanzen?
    Um die Zeit des Zweiten Weltkriegs entdeckten Forscher, dass sie Einfluss darauf nehmen konnten, wann Pflanzen blühen, indem sie einfach mitten in der Nacht das Licht ein- und ausschalteten. Sie konnten eine Kurztagpflanze wie die Sojabohne daran hindern, an den kurzen Tagen Blüten anzusetzen, wenn sie nachts nur einige Minuten lang das Licht anschalteten. Andererseits konnten sie eine Langtagpflanze wie die Iris dazu bringen, sogar an den kurzen Tagen mitten im Winter Blüten zu bilden, wenn sie sie mitten in der Nacht für wenige Augenblicke mit Licht versorgten. Diese Versuche bewiesen, dass die Pflanzen nicht etwa die Länge des Tages registrierten, sondern die Länge einer durchgängigen Periode von Dunkelheit.
    Mithilfe dieser Technik können Blumenzüchter Chrysanthemen punktgenau zum Muttertag zum Blühen bringen: dem optimalen Tag, um sie schlagartig auf den Frühblüher-Markt zu werfen. Muttertag ist im Frühling, Chrysanthemen blühen aber normalerweise im Herbst, wenn die Tagekürzer werden. Also ziehen die Chrysanthemenzüchter die Pflanzen im Gewächshaus und halten sie vom Blühen ab, indem sie den ganzen Herbst und Winter hindurch nachts einige Minuten lang das Licht einschalten. Ab zwei Wochen vor dem Muttertag dann bleibt das Licht nachts einfach aus, und alle Pflanzen setzen gleichzeitig Blüten an, sodass sie für die Ernte und den Versand bereit sind.
    Die Wissenschaftler waren auch neugierig, welche Farbe das Licht hat, das die Pflanzen sehen. Bei ihren Tests entdeckten sie Überraschendes: Sämtliche Pflanzen, ganz gleich welche, reagierten in der Nacht ausschließlich auf einen roten Lichtblitz. 10 Blaue oder grüne Lichtblitze während der Nacht hatten keinen Einfluss darauf, wann die Pflanzen blühten, doch wenige Sekunden roten Lichts wirkten sich aus. Die Pflanzen unterschieden also zwischen verschiedenen Farben: Sie nutzten blaues Licht, um festzustellen, in welche Richtung sie sich biegen mussten, und rotes Licht, um die Länge der Nacht zu registrieren.
    Anfang der 1950er-Jahre machten Harry Borthwick und seine Kollegen von jenem Labor des US-Landwirtschaftsministeriums, in dem auch der Maryland-Mammoth -Tabak erstmals untersucht worden war, die erstaunliche Entdeckung, dass Dunkelrotlicht die Wirkung des roten Lichts auf die Pflanzen zunichtemachen kann. 11 Dunkelrotlicht hat eine etwas größere Wellenlänge als Hellrotlicht und ist am häufigsten so gerade eben in der Abenddämmerung zu sehen. Setzt man Iris, die normalerweise in langen Nächten nicht blüht, mitten in der Nacht ein paar Sekunden lang rotem Licht aus, dann blüht sie so strahlend schön wie jede Iris in einem Naturschutzgebiet. Beleuchtet man sie jedochdirekt nach dem leuchtend roten Licht mit Dunkelrotlicht, dann ist es, als hätte sie überhaupt kein rotes Licht bekommen. Sie blüht nicht. Bestrahlt man sie hingegen nach dem Dunkelrotlicht mit leuchtend rotem Licht, so erblüht sie. Taucht man sie dann wieder in Dunkelrotlicht, blüht sie nicht. Das Licht wirkt, als würde es einen Schalter umlegen: Hellrotes Licht schaltet die Blüte an, dunkelrotes knipst sie aus. Wenn man den Schalter schnell genug betätigt, geschieht überhaupt nichts. Die Pflanze erinnert sich gleichsam an die letzte Farbe, die sie gesehen hat.
    Als John F. Kennedy zum Präsidenten gewählt wurde, hatten Warren L. Butler und seine Kollegen bereits bewiesen, dass für die Wirkung des hellroten und auch des dunkelroten Lichts ein einziger Photorezeptor in den Pflanzen verantwortlich war. 12 Sie nannten diesen Rezeptor »Phytochrom«, das heißt »Pflanzenfarbe«. In einem ganz einfachen Modell ausgedrückt, ist
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