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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
Autoren: C.H.Beck
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nichts aus.
    Er stand auf, und ein heftiger Schwindel überkam ihn. Nun, da der Durst gelöscht war, übernahm der Hunger die Oberhand. Die Alte blieb einfach hocken und schaute zu, wie er sich aufzurichten versuchte, strauchelte und sich schließlich fing. Er machte, um selbstsicher zu wirken, ein paar Schritte und blickte um sich. Niemand sonst war zu sehen. Diese Frau musste doch einer Familie oder einem Clan angehören? Mit ihr an seiner Seite hätte die Einsamkeit eigentlich verschwinden müssen, doch durch das Auftreten und vor allem das Schweigen dieser Alten fühlte er sich genauso einsam wie am Tag zuvor. An ihrem Anblick konnte er abschätzen, wie weit ihre Welt von der seinen entfernt war. Das Schiff, seine Kameraden, die zukünftigen Landurlaube auf der Reise nach China – das waren Mittel gegen Einsamkeit und Verlassenheit, nicht diese barmherzige Schwarze.
    Er ging wieder zu ihr, führte eine Hand zum Mund, die andere zum Bauch und tat, als würde er ein Stück Fleisch kauen. Sie zeigte keinerlei Reaktion, schaute ihn überhaupt nicht an, schien ihm nicht mehr helfen zu wollen.
    «Ich habe Hunger … Bitte … Ich habe Hunger.»
    Er nahm nicht an, dass sie ihn verstanden hatte. Seine Stimme klang fremd, er war in der Stille dieses verlassenen Buschs nicht mehr an sie gewöhnt. Die Frau blieb ungerührt. Sie hatte sein Leben gerettet,ihm zu trinken gegeben, und jetzt wollte sie ihn verhungern lassen?
    «Ich habe Hunger! Gib mir zu essen, du alte Hexe!»
    Die Veränderung seines Tonfalls war klar und unmissverständlich, aber sie reagierte dennoch nicht. Er konnte gegen seine Lebensretterin wohl kaum die Hand erheben. Und Gewalt würde auch keine Nahrung herbeizaubern. Er stieg aus der Doline zur Ebene hinauf und machte sich darauf gefasst, dort andere Wilde anzutreffen. Doch er sah niemanden. Ratlos kehrte er zu der reglosen Alten zurück, setzte sich neben sie und sagte ruhiger:
    «Ich heiße Narcisse Pelletier und komme aus Saint-Gilles im Department Vendée. Das liegt in Frankreich. Ich bin Matrose auf der Saint-Paul. Mein Schiff ist vor vier Tagen ohne mich abgesegelt. Es wird ganz sicher zurückkehren, und dann wird man dich reich dafür belohnen, dass du mir geholfen hast. Aber du musst mir zu essen geben.»
    Auch diese längere Rede zeigte keine Wirkung. Es schien, als hätte sie ihn gar nicht gehört. Weil ihm nichts Besseres einfiel und er auch nicht wusste, wohin er sonst gehen sollte, blieb er an ihrer Seite. Früher oder später würde der Augenblick kommen, da sie sich Nahrung beschaffen müsste. Er würde sich einfach zu ihrem Mahl einladen, ob mit ihrer Zustimmung oder ohne.
    Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt erreicht, und die Hitze war wieder unerträglich geworden, die schwüle Luft stand. Er döste kurz ein. Als er wieder zu sich kam, hockte sie unverändert neben ihm.
    Noch nie hatte er einen derart schwarzhäutigen Menschen gesehen – und das, obwohl ihm an den Häfen von Saint-Louis im Senegal oder in Kapstadt viele unterschiedliche Gesichter begegnet waren! Unterschieden sich die australischen Schwarzen also von den afrikanischen?
    Plötzlich streckte die Frau ihren Arm in seine Richtung und erhob die Hand. Sie sah ihn eindringlich an. Er gehorchte und rührtesich nicht. In der anderen Hand hielt sie einen Stein, ihm war ganz entgangen, dass sie ihn aufgehoben hatte. Langsam holte sie aus, dann schleuderte sie ihn in einen zwanzig Schritt entfernten Strauch. Mit derselben Bestimmtheit sprang sie auf, griff sich einen toten Ast und versetzte ihrem Opfer ein paar heftige Schläge. Danach neigte sie sich vor und schob das Blattwerk auseinander. Sie zerrte eine Echse heraus, die länger als ihr Unterarm war, und brach ihr das Genick. Schließlich kehrte sie zurück, ließ die Trophäe mit den glänzenden grauen Schuppen in den Staub fallen und hockte sich hin wie zuvor. Weder enthäutete sie das Tier, noch schickte sie sich an, es zuzubereiten.
    Er hatte solchen Hunger, dass er sogar bereit gewesen wäre, das scheußliche Reptil zu essen, sogar roh. Als er sie tatenlos neben sich sah, beschloss er, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Er zückte sein Messer und hatte vor, der Echse Kopf und Füße abzuschneiden, um sie dann zu häuten. Doch als er versuchte, das Tier zu packen, fuhr sie auf, nahm es an sich und versteckte es hinter ihrem Rücken. Damit war deutlich, dass er die Beute nicht anfassen durfte.
    Sollte er mit ihr darum kämpfen? Er war größer, kräftiger, jünger
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