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Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman

Titel: Was mit dem weißen Wilden geschah - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Geografie hier zur Erforschung bleibt. Es gibt noch viele Entdeckungen zu machen, dochnicht mehr für Reisende. Man wird sich lange an einem Ort aufhalten müssen, um sich an das Leben der Wilden zu gewöhnen, ihr Vertrauen zu gewinnen, ihre Sprache zu erlernen und durch ihre Mithilfe die Geheimnisse eines jeden Archipels zu durchdringen. Ich bin zu solchen Entbehrungen nicht mehr in der Lage. Sie haben sich nicht im Reiseziel getäuscht, sondern in meiner Person.
    Erschöpft von so viel Fremdartigkeit, beschloss ich, einige Zeit in Sydney zu verbringen, um darüber nachzudenken, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. In Australien gibt es zwar nichts zu entdecken, aber die neue Stadt hat durchaus ihren Reiz. Mein Status als außerordentliches Mitglied Ihrer Gelehrtengesellschaft öffnete mir auf allen meinen Reisen die Türen zu den entsprechenden Kreisen – auch wenn es am Ende recht wenige Personen waren. Man unterstützte mich bei meinen Vorhaben und ließ mich in Ruhe, wenn sie scheiterten. Durch den Kontakt zu Gelehrten hielt ich mich über die Ereignisse in der Welt auf dem Laufenden. Ich glaubte sogar, meine künftige Lebensgefährtin gefunden zu haben, die dem Anschein nach dieselben unausgesprochenen Wünsche hegte. Als ich mich ihr unter den spöttischen Blicken ihres Vaters erklärte, gab sie mir unumwunden zu verstehen, dass sie niemals einen Franzosen heiraten würde und erst recht keinen Katholiken. Sosehr mich die Tändelei mit ihr bis dahin in Sydney gehalten hatte, so sehr drängte mich diese bittere Enttäuschung nun zur Abreise. Doch die Grausame hätte sich über meine Flucht nur gefreut, und so beschloss ich, noch einige Wochen länger zu verweilen, um schließlich in Würde abzureisen.
    Eines Abends sprach mich auf der Terrasse des ehrbaren Kaufmanns Wilton-Smith jener Kapitän an, mit dem ich fünfzehn Monate zuvor aus Fidschi zurückgesegelt war. Er fragte mich, ob ich in meiner Rolle als Entdecker etwas von dem weißen Wilden gehört hätte. Ich glaubte,falsch verstanden zu haben oder einer Spöttelei aufzusitzen, und bat ihn, meine lückenhaften Englischkenntnisse zu entschuldigen und seinen Satz zu wiederholen.
    In wenigen Worten erzählte er mir, dass ein bewaffnetes und mit Seegurken beladenes Schiff einen weißen Wilden an Bord zurückgebracht habe. Ein nackter Wilder, am ganzen Körper tätowiert und von der Sonne verbrannt, keiner Sprache mächtig außer irgendeinem Kauderwelsch, und doch der Haut, dem Haar und der Größe nach eindeutig ein Weißer.
    Er sei ganz alleine am Strand umhergelaufen. Die Besatzung habe ihn gewaltsam an Bord geschafft, dann aber irgendwann genug gehabt von diesem eigenartigen Zeitgenossen. Hier in Sydney habe sich dann der Gouverneur seiner angenommen, wo er ihn seit gut einer Woche in einer Gefängniszelle halte.
    Monsieur le Président, Sie werden wie ich festgestellt haben, dass einem gerade in Hafenstädten gerne einmal Meerjungfrauen oder dreiköpfige Männer angepriesen werden. Entsprechend lauschte ich diesem scheinbaren Seemannsgarn lediglich mit höflicher Aufmerksamkeit. Am Ende erwiderte ich, dass die Entdecker bereits genug mit wilden Schwarzen beschäftigt seien und keinen weißen Wilden bräuchten. Die einsetzende Musik beendete unser Gespräch.
    Meine Reaktion an diesem Abend hätte falscher und törichter nicht sein können.
    Drei Tage später wurde ich zu einem Treffen in das Büro des Gouverneurs bestellt. Ich kannte die anderen Gäste vom Sehen her: ein deutscher Kaufmann, ein italienischer Priester, ein russischer Baron, ein holländischer Kapitän und ein spanischer Adeliger, welcher mit der für Spanier typischen Arroganz dreinblickte. Die wichtigsten Nationen, oder besser, die wichtigsten Sprachen Europas waren um den Tisch versammelt.
    Der Gouverneur beschrieb uns sein Dilemma. Er hatte den weißen Wilden, mit dem er nicht wusste, wohin, im Gefängnis untergebracht.Er hatte ihn in Augenschein genommen und war ebenfalls überzeugt, dass er in Europa als Sohn einer weißen Mutter und eines weißen Vaters auf die Welt gekommen sein musste und nicht als Kind von Wilden oder Mulatten. Doch wo? Er sprach ausschließlich Kauderwelsch und trug nichts bei sich, das auf seine Herkunft hätte schließen lassen.
    Ein Sträfling im Dienerkostüm servierte Portwein, wahrscheinlich, um uns in gute Laune zu versetzen. Der Gouverneur erläuterte seinen Plan: Jeder von uns sollte in seiner Muttersprache mit dem Wilden reden, und dann würde man
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