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Was man so Liebe nennt

Was man so Liebe nennt

Titel: Was man so Liebe nennt
Autoren: David Baddiel
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den kommenden Minuten immer noch ein Hochgefühl, daß sie es endlich geschafft hatte, ein Gefühl, das sich noch verstärkte, als sie Vics Lambretta neben dem Seiteneingang stehen sah. Sie war an keinem Freudenort angelangt, aber, dachte sie mindestens, an einem Ort des Trosts.
    So wie es sich ergab, brauchte sie die Worte gar nicht sagen. Als sie durch die Wohnungstür trat, legte Vic gerade die rote Gitarre, die er so mochte, in den Koffer zurück; trotz all der anderen durch ihren Kopf rasenden Dinge stieg in Emma ein Schwall von Zärtlichkeit auf bei dem Gedanken daran, wie er hier allein gesessen und versucht hatte, all seine Ängste in Musik zu packen. Er sah zu ihr auf, eine so freudige Zuversicht in seinen dunklen, unregelmäßigen Zügen, daß es ihr vorkam, als hätte er den Ausdruck lange geübt, so wie sie ihre Worte. Es sah so verzweifelt optimistisch aus, sein Gesicht, daß es um so schrecklicher war, als dieser Ausdruck wie eine Maske von ihm abfiel, als Emma zu weinen anfing.
    »O Emma...«, sagte er, lief zu ihr und nahm sie in die Arme.
    »Entschuldige, daß ich so spät komme«, sagte sie, ihre Stimme schrill und kurz vorm Umkippen. »Der Verkehr war furchtbar. Ganz entsetzlich. Alles war verstopft.«
    »Ist ja gut«, sagte er und streichelte ihr über die Haare, immer wieder, und wünschte, daß der Verkehr wirklich der Grund für ihre Verzweiflung war. »Ist ja gut.«
    Sie vergrub sich in seiner Umarmung, wollte sich in ihr verlieren, oder eher, ihr jetziges Ich dort loswerden und irgendwo in den Fasern seines schwarzen Jumpers, in der Wärme seines Körpers, die für sie direkt aus der Quelle schierer Gesundheit zu strömen schien, ihr altes Selbst wiederfinden, das unversehrte.
    »Du riechst nach Rauch.« Ihre Stimme kam gedämpft aus dem an seine Brust gepreßten Mund.
    »Ja«, sagte er mit stockendem Atem. »Ich bin direkt vom Studio hergekommen. Wir machen gerade den Feriensong für Thomson.« Sie lachten und schluchzten gleichzeitig über die jetzt so abwegig wirkende Information. »Der Keyboarder ist Kettenraucher, und weil ich so nervös war, hab ich auch zwei geraucht.« Er legte seine Fland unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht zu sich hoch. »Entschuldige.«
    Sie küßte ihn, schlängelte ihre Zunge in seinen Mund, um ihm zu zeigen, wie wenig sie das störte. Dann wölbte sie ihren Mund nach vorn, so weit, daß ihr der Kiefer weh tat, ließ ihren Mund förmlich in seinem verschwinden, rundete die Lippen und saugte an seiner Zunge — aber plötzlich wich er zurück.
    »Emma«, sagte er und setzte sich auf einen der Instrumentenkoffer. »Bitte. Ich kann nicht — wir müssen reden.«
    Der Raum verstummte, jedenfalls soweit, wie es bei den Einfachfenstern zur Dulwich Road hin möglich war. Emma fühlte sich gekränkt — noch nie hatte Vic irgendwas unterbrochen, das vielleicht ein Vorspiel zum Liebesakt war — , aber dann sagte sie sich, daß er ja recht hatte, sie mußten wirklich miteinander reden. Sie ging ein paar Schritte von ihm weg und setzte sich an die Harfe.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Vic.« Sie schlug mit der Faust gegen die Saiten, aber nicht wild, ein sehr halbherziger Wutausbruch. Der Ton, den die Harfe von sich gab, klang wie ein einzelner schnell an- und wieder abschwellener Kirchglockenschlag. »Ich weiß nicht, was wir machen sollen.«
    Das wußte Vic auch nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, wie die Dinge in solch einer Situation ablaufen sollten, und hatte sowieso das Gefühl, daß so etwas noch nie dagewesen war. Wie Seitensprünge in sexueller Hinsicht abliefen, war Vic natürlich kein Rätsel. Aber jemanden umsorgen, der ernsthaft krank war, richtig umsorgen, so wie er es gern tun wollte, nicht nur als gelegentlicher Besucher in seiner offiziellen Eigenschaft als Joes Freund — er hatte keine Ahnung, wie man das im geheimen machte. Seine Gedanken machten einen Zeitsprung, und er sah es plötzlich vor sich, wie sie sich in ein paar Monaten, so wie immer, heimlich verabredeten, sich hier zu treffen, nur diesmal, damit er ihr den Schweiß von der Stirn tupfte und ihre Hand hielt, während sie im Bett lag.
    »Wie...« Seine Stimme brach. Er konnte sich nicht dazu durchringen, es auszusprechen; nicht nur, weil es so schmerzlich war: Es klang zu abgedroschen. In der Vergangenheit hatten Frauen manchmal von ihm gewollt, daß er beim Sex geile Worte sagte, aber sie waren ihm nicht über die Zunge gekommen, nicht aus Scham oder Verlegenheit, sondern weil
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