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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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verweist das Axiom der Grammatikalität all die Hervorbringungen der menschlichen Stimme – Summen, Räuspern, Schreie, Gekicher, Gemurmel, Gestammel, Schreie, Ausrufe und Ellipsen, Unsinnswörter, Gurgeln, Krähen, Kindersprache, Bettgeflüster und so weiter –, die sich nicht fein säuberlich in Nomen, Verben und Punkte auflösen, an den Rand der Sprachwissenschaft.
    Auch wenn man den gesamten Bereich »ungrammatischer« und nichtsprachlicher Verwendung von Geräuschen ausklammert, tut man sich angesichts der Uneinheitlichkeit und Bandbreite dessen, was die Grammatiken existierender Sprachen regeln, schwer zu begreifen, was eine Aussage wie »die Grammatik ist das allen Sprachen Gemeinsame« heißen soll. Sie zieht zwangsläufig eine weitere Frage nach sich: Und was ist das allen Grammatiken Gemeinsame?
    Eine grammatische Kategorie zu finden, die in allen menschlichen Sprachen existiert, ist ein schweres Stück Arbeit. Viele Sprachen kommen ohne Bestimmungswörter wie »ein« und »der/die/das« aus (Russisch und Chinesisch zum Beispiel). Viele Sprachen kommen ohne grammatisches Geschlecht aus (das gesprochene Finnisch unterscheidet nicht zwischen »er«, »sie« und »es«). Etliche größere und kleinere Sprachen markieren die Zahl nicht (das Chinesische hat keine besondere Form für die Zweizahl oder die Mehrzahl). Dass man Adjektive eigentlich nicht braucht, liegt auf der Hand – sogar im Englischen kann man das Wort »Tomate« verwenden, wenn man etwas als rot bezeichnen will; Präfixe erlauben die Unterscheidung zwischen großen und kleinen Versionen einer Sache (Deutsch Minibus , Französisch hypermarché ) genauso wie Suffixe im Italienischen ( uomaccione , ein »großer, kräftiger Mann«), im Lateinischen ( homunculus , kleiner Mensch) und im Russischen ( левчик ) oder auch im Deutschen (»Löwchen«). Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges ersann eine Sprache ohne Substantive, in der man mit Verben und Adjektiven alles ausdrücken kann. »Es monded blau« – mehr brauchte man nicht, um von dem blau getönten Mond am Himmel zu sprechen. Der Aspekt der Verben ist nur in manchen Sprachen (im Russischen beispielsweise) als grammatische Kategorie voll ausgebildet, und Tempora sind sogar in Sprachen, die sie haben, redundant. »Ich fahre morgen nach Paris« ist im Deutschen völlig ausreichend, genauso wie Napoléon entre dans Moscou en août 1812 (»Im August 1812 marschiert Napoleon in Moskau ein«) normales Französisch ist, da die explizite Zeitangabe (»morgen«, »1812«) die grammatische Markierung der Zeit entbehrlich macht. Nicht alle Sprachen haben Evidenziale, sehr viele haben keine Präpositionen, und wieder andere haben keine Agglutinierung. Im Englischen haben wir praktisch keine Fälle (der Begriff des Kasus besteht nur insofern fort, als wir noch zwischen he und him und she und her unterscheiden – das ist aber auch schon alles); dem Chinesischen sind sie völlig fremd.
    Und so geht es weiter. Der Modus ist nicht Teil der englischen Grammatik (wir benutzen separate Wörter wie may, should, ought und so weiter), das Albanische verfügt hingegen über stark differenzierte Mittel zum Ausdruck verschiedenster affektiver Zustände, Bewunderung eingeschlossen. Die Vokalharmonie ist ein Grundbaustein des Ungarischen: Man sagt a moziba , wenn man im Kino war, aber az étterembe , wenn man im Restaurant war, weil die Vokale »o« und »i« des ersten Worts zwingend das Suffix -ba erfordern, die Vokale »é« und »e« des zweiten Worts aber das Suffix -be . Vergleichbares findet man in der überwiegenden Mehrheit der Weltsprachen nicht.
    Die Jagd nach dem allen Grammatiken Gemeinsamen – der »Universalgrammatik« – dauert nun schon lange und hat ungefähr so viel erbracht wie die Suche nach dem Heiligen Gral. 4 Auf einer Ebene jedoch ist die Antwort klar, weil in der Definition enthalten: Alle Grammatiken regeln die Art und Weise, in der freie Elemente zu einem akzeptablen Satz kombiniert werden können.
    Der Haken dabei ist offensichtlich: »Satz« ist zunächst einmal ein grammatischer Begriff. Der Satzcharakter ist keine wahrnehmbare Eigenschaft von Sprechakten in natürlicher Sprache. Nicht nur bei der Dichtung Mallarmés haben wir Mühe zu erkennen, wo der Punkt für das Satzende hingehört. Hören Sie mal Ihren Kindern zu! Die bringen ihre Sätze nie ordentlich zu Ende.
    Sätze können wir in allen natürlichen Sprachen bilden, richtig. Ebenso richtig ist aber, dass
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