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Was im Dunkeln liegt

Was im Dunkeln liegt

Titel: Was im Dunkeln liegt
Autoren: Diane Janes
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mich ausfindig machen würde, könnte ich kaum vorgeben, den Namen seines Vaters nicht zu kennen  –  und selbst wenn ich mich weigerte, ihn preiszugeben, würde er womöglich bei anderen Leuten nachfragen. Mein Bruder, meine Schwester; irgendein wohlmeinender Trottel mit einem drei Dekaden umfassenden Gedächtnis könnte ihn geradewegs zu Mrs Ivanisovic schicken  –  und heraus käme die Geschichte über Dannys Tod. Und er würde immer mehr
Fragen stellen, eine Vorstellung, bei der sich in meinem Kopf alles zu drehen begann wie ein Karussell, das immer schneller und schneller kreist, bis man an seinen eigenen Schreien erstickt.
    So viele Fragen, die ich niemals beantworten könnte. Was wollte ein Kind wissen? Ob ich je in seinen Vater verliebt war? So einfach wäre es jetzt, dies zu verneinen  –  die besten Zeiten zu verneinen im Wissen um die schlimmsten. Vielleicht können manche Fragen einfach nicht beantwortet werden. Vielleicht kommt es darauf an, wann man sie stellt. Alles verändert sich. Selbst Cat Stevens ist nicht länger Cat Stevens. Solche Gedanken sind es, die mir durch den Kopf gehen, wenn ich vor dem Haus seiner Eltern in der Menlove Avenue sitze. Wie leicht könnte selbst jetzt noch jemand ein Streichholz entzünden und damit in Richtung der Wahrheit leuchten. Wenn ich eines für ihn tun kann, so ist es, meine Last allein zu tragen. Soll er doch glauben, die Teenagermutter sei von Nonnen eingeschüchtert worden oder die Eltern seien bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen  –  einfach irgendeine nette kleine Geschichte. Er soll zufrieden sein, keine quälenden Fragen auf dem Herzen haben, während ich die Geheimnisse für uns beide bewahre.
    Mit dem Verstreichen der Jahre fühle ich mich sicherer. Hätte er gewollt, hätte er mich mittlerweile längst gefunden. Und es zieht mich nach wie vor zu dem Haus, obwohl ich weiß, dass er dort gar nicht mehr wohnt. Seine Eltern sind noch da, und vielleicht gibt es irgendwo tief in den unbekannten Bereichen meines Inneren die Hoffnung, ich könnte einen Blick auf ihn erhaschen. Die schwache Möglichkeit, einer meiner Besuche
könne mit einem seiner Besuche zusammentreffen. An einem Abend im letzten Jahr hatte ein fremder Wagen in der Einfahrt geparkt. Ich wartete über eine Stunde, aber als der Besitzer dann auftauchte, war es ein Fremder  –  zu alt, um ihr Sohn zu sein  –  ihr Sohn und meiner.

35
    Ein eigenartiger Frieden liegt über Mrs Ivanisovics Zimmer. Ich sehe nicht mehr auf die Uhr oder denke darüber nach, was ich irgendwo anders tun könnte. Als ihre Lider flackern, nehme ich ihre Hand und halte sie fest; sie entspannt sich, schläft wieder ein.
    Es fühlt sich für mich nicht falsch an, hier zu sitzen  – obwohl es das vielleicht sollte. Bin ich nicht die Person, die ihren geliebten Sohn zerstört hat? Und dennoch, indem ich es getan habe, habe ich ihr ihre Illusionen und Träume bewahrt  –  vielleicht zählt das ja auch etwas.
    Nach und nach fällt mir auf, dass die Geräusche, die mir den Abend über Gesellschaft geleistet haben, verstummt sind. Die Uhr hat aufgehört zu ticken, und Mrs Ivanisovic ist nicht mehr. Der Tod ist auf Zehenspitzen eingetreten und hat sie leise mit sich genommen.
    Ich finde den Summer und drücke einmal darauf. Sogleich taucht eine Schwester auf, eine andere. Fettsteiß scheint ihre Schicht beendet zu haben. Ein Blick genügt. Sie nickt und sagt: »Sie ist von uns gegangen.« Dann bemerkt sie, dass ich immer noch Mrs Ivanisovics Hand halte. »Hätten Sie noch gern eine Minute mit ihr allein?«
    »Nein, danke. Es ist gut so.« Behutsam lege ich die
Hand auf die Decke. »Gibt es irgendetwas, das ich tun soll  –  irgendetwas unterschreiben?«
    »Machen Sie sich darüber jetzt keine Gedanken«, sagt die Schwester. »Der Tod kam erwartet, deshalb sind die Formalitäten kein Problem.«
    »Das ist gut.« Ich sammle mich, mache mich bereit zu gehen.
    »Möchten Sie gern eine Tasse Tee?«, fragt sie. »Sie brauchen nicht das Gefühl zu haben, sofort aufbrechen zu müssen.«
    »Nein, wirklich, mir geht es gut.«
    Es ist seltsam, in die kühle Nachtluft hinauszutreten nach mehreren Stunden in Broadoaks, wo die kleinen alten Damen wie Treibhausblüten in Temperaturen leben, die eine winterharte Pflanze wie mich verwelken lassen würden. Mit einem merkwürdigen Gefühl von Bereicherung steige ich in den Wagen. Als hätte ich durch mein Hiersein etwas vollendet  –  obwohl ich nicht
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