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Was im Dunkeln liegt

Was im Dunkeln liegt

Titel: Was im Dunkeln liegt
Autoren: Diane Janes
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Blicke. Mit offenem Tadel hielten sich meine Eltern zurück, weil ich offiziell noch »krank« war. Aber ich hatte keinen Zweifel an ihren wahren Gefühlen. Ich war eben »ihre« Katy  –  diejenige, die schon immer aus der Reihe getanzt war.
    Danny lag noch weitere zwölf Tage im Koma. Er starb, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Dennoch lebte ich weiterhin in Angst vor einem Klopfen an der Tür, einer uniformierten Gestalt im Hausflur. Bei unerwarteten und unklaren Todesfällen würde die Polizei doch sicherlich Ermittlungen aufnehmen?
    Das geschah jedoch nicht  –  die gerichtliche Untersuchung zur Feststellung der Todesursache erkannte in beiden Fällen auf Selbstmord. Danny und Simon waren zusammen in einem Zimmer aufgefunden worden, mit klaren Hinweisen auf Medikamenten- und Alkoholkonsum und ohne ein Anzeichen von äußerer Gewalteinwirkung. Sie hatten, wie es bei Gericht beschrieben wurde, eine »abnorm enge Freundschaft« gehabt, und Simon sei bekanntermaßen homosexuell gewesen. Es wurde sogar
angedeutet, Danny habe seine eigene Veranlagung zu bekämpfen versucht, indem er sich auf »normale« Beziehungen mit dem anderen Geschlecht einließ. Man vermutete einen Selbstmordpakt. Unfassbar, wie leichtgläubig Menschen sein können. Biete ihnen eine simple Lösung an, und sie stürzen sich darauf wie ein Trunkenbold auf eine Bar.
    Ich schluckte wochenlang Beruhigungsmittel. Meine Mutter beklagte sich bei ihren Freundinnen darüber, dass ich jedes Mal, wenn ich mich zu erholen schien, durch irgendetwas wieder zurückgeworfen wurde. »Wir behandeln sie wie ein rohes Ei«, brummte sie. Das war richtig. So sorgfältig sie auch darauf achteten, mich abzuschirmen, ständig schien irgendetwas dazwischenzukommen. An einem Oktobertag wollte ich einen Spaziergang machen, und da es kalt war, zog ich meinen Anorak über. Ich hatte ihn nicht mehr getragen, seit er mir von Simons Onkel zusammen mit meinen anderen Sachen gebracht worden war. Meine Mutter nahm an, dieser Faktor allein habe genügt, um mich aus der Fassung zu bringen: der bloße Anblick des Kleidungsstücks habe die schrecklichen Erinnerungen wieder in mir aufsteigen lassen. Sie hatte keine Ahnung, dass mich nicht der Anorak in einen schwarzen Abgrund taumeln ließ, sondern der kühle schmale Gegenstand, den meine Finger in der Innentasche ertasteten.
    »Deshalb beschloss ich, es sei das Beste, den Anorak für den Pfadfinder-Flohmarkt zu spenden«, erklärte meine Mutter später. »Aber als Katy das herausfand, hat sie, ob ihr es nun glaubt oder nicht, wieder einen hysterischen Anfall gekriegt. Ständig löcherte sie mich, ob ich auch die Taschen überprüft hätte, doch wenn ich sie fragte, was
denn darin gewesen sei, sagte sie jedes Mal: Nichts. Man gibt sich solche Mühe, alles richtig zu machen, und dann ist es doch wieder falsch.«
    Meine Mutter kaufte mir einen neuen Mantel als Ersatz für den Anorak, den sie für den Flohmarkt gespendet hatte. Sollte der neue Besitzer des Anoraks jemals versucht haben, die Spende zurückzuverfolgen, so ist das nicht bis zu uns durchgedrungen. Ich nehme mal an, der Käufer hielt hübsch den Mund über den Geldsegen und den schönen Füller.
    An Weihnachten stürzte der Himmel dann wirklich ein. In der irrigen Annahme, es sei ein guter Zeitpunkt, wählte ich den Weihnachtsabend, um meinen Eltern zu eröffnen, dass ich schwanger sei. Ihre Reaktionen als hysterisch zu bezeichnen wäre komplett untertrieben. Die Toleranz der Sechzigerjahre hatte um unserer Familie einen weiten Bogen gemacht, und die Aussicht auf ein uneheliches Enkelkind versetzte meine Mutter in eine Raserei von operettenhaften Ausmaßen. Bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag war ihr Zorn einer eisigen Entschlossenheit gewichen. Von Zeit zu Zeit gab es noch Tränen und Anklagen, aber der Mund meiner Mutter hatte sich zu der harten, schmalen Linie verfestigt, die im Alter für sie typisch sein sollte, und eine Entscheidung wurde getroffen: Ich sollte wie in früheren Zeiten weggeschickt werden. Offiziell auf Erholungsurlaub bei Verwandten, sollte ich mein Kind in der heimlichen Schande eines Heims für unverheiratete Mütter zur Welt bringen. Das Ganze wurde derart gründlich vertuscht, dass ich mir bis jetzt unsicher bin, wer von unseren engsten Verwandten davon Wind bekommen hatte. Nach meiner Rückkehr nach Hause wurde weder über die Schwangerschaft noch über
das Baby jemals wieder gesprochen  –  vermutlich weniger, um meine Gefühle
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