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Was geschah mit Angelika H.

Was geschah mit Angelika H.

Titel: Was geschah mit Angelika H.
Autoren: Thomas Ziegler
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mir mit meinem bekannten Fingerspitzengefühl auch gelingen, sie zur Rückkehr zu ihrem liebenden Großvater bewegen.
    Er lächelte wölfisch und verschreckte damit zwei Teenager, die auf hohen Stöckelschuhen vor dem Krishna auf und ab flanierten und mit ihren Netzstrümpfen und dünnen Seidenkleidchen aller Welt zu verstehen gaben, wieviel Vertrauen sie in den vielbeschworenen Treibhauseffekt hatten. Beide waren blond und blauäugig und leicht beschränkt, wie Markesch bedauernd feststellen mußte.
    »Ey, ich faß’ es nicht! Die Altersheimbrigade rollt an!«
    »Na, Opa, ein letztesmal das Tanzbein schwingen, und dann ab zur Oma in die Grube, was?«
    Sie gackerten wie zwei nervenkranke Hühner. Markesch ignorierte sie; er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, daß die Teenager der frühen Neunziger ihre Jugend für eine besondere Auszeichnung hielten und das Alter für ein Verbrechen, das nur mit dem Tod gesühnt werden konnte. Sinnlos, sich darüber aufzuregen. Die Zeit arbeitete ohnehin für ihn.
    Die Schlange vor dem Eingang hatte sich inzwischen auf ein Dutzend Personen verkürzt, von denen keine älter als zwanzig war. Die Jungen waren so nett, adrett und gepflegt, als wäre das Leben eine einzige Fernsehreklame, und die Mädchen schienen ihre Selbstverwirklichung darin zu finden, wie Mammutausgaben der Barbie-Puppen auszusehen, mit denen sie noch bis zum Sommer gespielt hatten.
    Plötzlich war Markesch froh, die Dreißig bereits überschritten zu haben. Die beiden blonden, blauäugigen und leicht beschränkten Teenager irrten; die Jugend war keine Auszeichnung. Im Gegenteil, sie war eine schreckliche Last, die reinste Tyrannei, beherrscht vom Terror der Modezeitschriften und Hitparaden, eine Zeit der Babyspecktragödien und Pickelkatastrophen.
    Die Warteschlange rückte vor, und auf dem Höhepunkt seiner philosophischen Überlegungen sah sich Markesch mit dem Kassierer konfrontiert, einem hageren Mittdreißiger, von Kopf bis Fuß in Himmelblau gekleidet und mit jenem ewigen Lächeln auf den Lippen, das bei den Sanyiten als höchste Form der Spiritualität galt, bei Markesch aber nichts weiter als Abscheu und Aggressionen auslöste.
    »Ein wunderbarer Abend, nicht wahr?« jubelte der Sanyit und drückte ihm mit schwungvoller Gebärde einen Stempel auf den Handrücken. »So viele glückliche Gesichter!«
    »Muß am Stempel liegen«, knurrte Markesch. »Es ist wie bei der Fleischbeschau. Kaum ist der Stempel drauf, schon ist das Schwein glücklich.«
    Einen erregenden Moment lang hoffte er, daß die Bemerkung das penetrante Lächeln vom Gesicht seines Gegenübers radieren würde, doch natürlich wurde seine Hoffnung enttäuscht.
    »O ja, es ist großartig«, versicherte der Sanyit und stempelte heiter den nächsten Gast ab.
    Frustriert stiefelte Markesch an ihm vorbei und in die große, von hämmernder Rap-Musik und blitzenden Stroboskoplichtern erfüllte Halle. Die Tanzfläche war ein wogendes Meer zuckender, schwitzender Leiber, umstellt von einer Reservearmee aus Westentaschen-Travoltas, die es kaum erwarten konnten, in eine frei werdende Lücke zu stoßen und mit der Selbstinszenierung der eigenen Persönlichkeit zu beginnen.
    Ein rascher Rundblick überzeugte ihn davon, daß die einzige interessante Erscheinung sein eigenes Spiegelbild war, und so wandte er sich ohne Bedauern der Cocktailbar zu, um seine Ermittlungen aufzunehmen.
    Die beiden Frauen hinter der Bar waren so himmelblau und aufdringlich fröhlich wie alle Sanyiten. Sie mixten die Cocktails im Rhythmus der Rapmusik, strahlten mit den Scheinwerfern um die Wette und jonglierten so ausgelassen mit den Flaschen und Gläsern herum, als gälte es, der ungläubigen Jugend von Köln zu beweisen, daß Arbeit ein großartiger Spaß sein konnte – vorausgesetzt, man hatte einen toten Guru zum Chef. Der Meister selbst hing ihnen als Medaillon um den Hals, ein grinsendes, bärtiges Gesicht, und schien sich noch posthum über die siebenundneunzig Rolls-Royces zu freuen, die ihm seine Anhänger zu Lebzeiten geschenkt hatten.
    Markesch konnte ihn verstehen.
    Das wäre auch ein Job für mich, sinnierte er, während er sich auf einen Barhocker schwang: Guru einer Bande verrückter Weiber, deren größtes Glück es ist, mir jeden Tag einen Rolls oder einen Ferrari zu schenken. Und Erleuchtung gäbe es satt – soviel, daß sich jede als Diplom-Glühbirne ihr Geld verdienen könnte.
    Er winkte einer Sanyitin, einer rothaarigen, sommersprossigen Hexe mit
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