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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah
Autoren: Malcolm Gladwell
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Morris und Popeils beinahe ein Jahrhundert lang getan hatten, und was nach Ansicht von Experten in der modernen Wirtschaft vollkommen undenkbar war. Zuhause in seiner Küche erfand er ein Gerät und stellte sich auf die Straße, um es selbst zu verkaufen.
3.
    Nathan Morris, Ron Popeils Großonkel, sah aus wie Cary Grant. Er trug einen Strohhut, spielte Ukulele, fuhr Cabrio und komponierte Klavierstücke. Sein Unternehmenssitz war ein einstöckiges, weißes Gebäude an der Ridge Avenue in Asbury Park und hatte einen kleinen Anbau, in dem er mit Teflonbeschichtungen experimentierte. Er war ein Exzentriker und hatte beispielsweise Angst, ohne einen Arzt über die Grenzen von Asbury Park hinaus zu verreisen. Er überwarf sich erst mit seinem Bruder Al, der im Zorn nach Atlantic City zog, und dann mit seinem Neffen S. J. Popeil , der ihm für seine Einführung in das Geschäft mit den Küchengeräten nach Nathans Meinung nicht genug Dankbarkeit zeigte. Diese zweite Fehde gipfelte in einem Showdown vor Gericht. Zankapfel war S. J. Popeils Chop-O-Matic, ein Schneidgerät mit einem besonders beschichteten, w-förmigen Messer, das über eine spezielle Welle in Rotation versetzt wurde. Der Chop-O- Matic war das perfekte Gerät zum Häckseln von Krautsalat und Hackfleisch, und als Morris ein verblüffend ähnliches Gerät mit dem Namen Roto-Chop auf den Markt brachte, verklagte S. J. Popeil seinen Onkel auf Patentverletzung. (Wenig später sollte sich herausstellen, dass sich S. J. Popeil bei der Erfindung des Chop-O-Matic von einem Schweizer Gerät namens Blitzhacker hatte inspirieren lassen. Er verlor einen Patentprozess gegen dessen Hersteller.)
    Der Prozess fand im Mai 1958 in Trenton statt. Im Gerichtssaal drängten sich die Morris’ und die Popeils. Zur Eröffnung des Prozesses wurde Nathan Morris von den Anwälten seines Neffen verhört, die es darauf anlegten, ihn als Hausierer und Ideendieb zu verleumden. Plötzlich unterbrach der Richter das Verhör. »Er zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Morris«, erinnert sich Popeils langjähriger Patentanwalt Jack Dominik. »Das werde ich mein Leben nicht vergessen. Er rief: ›Ich kenne Sie! Sie sind ein Straßenhändler! Ich habe Sie auf der Straße gesehen!‹ Und Morris zeigte mit dem Finger auf den Richter und brüllte: ›Das stimmt nicht! Ich bin Gerätefabrikant! Ich bin ein ehrwürdiger Unternehmer, und ich habe die besten Berater!‹ Onkel Nathan bekam einen knallroten Kopf, und der Richter wurde noch röter. Der Prozess musste unterbrochen werden.« Was dann passierte, beschreibt Dominik in seinen unveröffentlichten Erinnerungen: Nathan Morris erlitt einen Herzinfarkt, und S. J. Popeil wurde von Schuldgefühlen übermannt. »Tränen flossen. Reue kam auf. Am nächsten Tag einigten sich die Parteien auf einen Vergleich. Und wie durch ein Wunder erholte sich Onkel Nathan von seinem Herzinfarkt vom Vortag.«
    Nathan Morris war ein Schauspieler, genau wie viele seiner Verwandten. Verkaufen war in erster Linie Schauspiel. In der Familie erzählt man sich, Nathans Neffe Archie Morris habe über einen Nachmittag hinweg ein Küchengerät nach dem anderen an einen gut gekleideten Herrn verkauft. Als der Mann schließlich gegangen sei, habe Archie beobachtet, wie er anhielt, in seine Tüte sah, und sie in einen Mülleimer warf. So gut waren die Morris’. »Mein Cousin hätte Ihnen eine leere Schachtel andrehen können«, behauptet Ron.
    Der letzte der Familie Morris, der noch im Verkauf arbeitet, ist Arnold, genannt »das Messer«. Diesen Spitznamen verdankt er seinen Erfolgen mit dem Sharpcut, einem Vorläufer des Ginsu-Messers. Er ist ein fröhlicher, verschmitzter Mann Anfang siebzig, mit rundem Gesicht und ein paar weißen Strähnen. Sein Markenzeichen ist eine schwungvolle Handbewegung, mit der er fein säuberlich aufgeschnittene Tomatenstücke mit dem Messerrücken in einer Reihe aufreiht. Arnold lebt heute in Ocean Township in der Nähe von Asbury Park.
    Verheiratet ist er mit der 29-jährigen Phyllis, die er als »das hübscheste Mädchen von Asbury« bezeichnet (er sagt dies mit demselben unwiderstehlichen Brustton der Überzeugung, mit dem er vermutlich auch ein Klappmesser beschreiben würde). Als ich ihn morgens in seinem Arbeitszimmer besuche, gibt er den Monolog zum Besten, mit dem er den Dial-O-Matic verkaufte, den S. J. Popeil vor gut vierzig Jahren auf den Markt gebracht hatte.
    »Kommen Sie näher! Ich zeige Ihnen das erstaunlichste Schneidgerät, das
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