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Was der Hund sah

Was der Hund sah

Titel: Was der Hund sah
Autoren: Malcolm Gladwell
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sagen, und in einer Todesspirale abstürzte. Um diese Erfahrung nachvollziehen zu können, stieg ich unter denselben Wetterverhältnissen in denselben Flugzeugtyp und bat den Piloten, in Sturzflug zu gehen. Das war kein Werbegag, sondern eine Notwendigkeit. Ich wollte verstehen, wie sich ein Sturzflug anfühlt , denn um das Unglück wirklich zu verstehen, reicht es nicht aus, nur zu wissen, was Kennedy tat.
    In »Bilderrätsel« gehe ich der Frage nach, wie wir Satellitenbilder interpretieren - beispielsweise die Aufnahmen, in denen George W. Bush und seine Regierung Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen zu erkennen glaubten. Die Idee zu dieser Geschichte kam mir an einem Nachmittag, an dem ich gemeinsam mit einem Radiologen Mammografien ansah, und dieser irgendwann vollkommen unvermittelt anmerkte, er hätte bei der Interpretation der Röntgenbilder vermutlich dieselben Schwierigkeiten wie die Leute vom CIA bei der Interpretation von Satellitenfotos. Ich wollte wissen, was in seinem Kopf passierte, und er, was in den Köpfen der CIA-Mitarbeiter vorging. Ich erinnere mich, dass mir in diesem Moment regelrecht schwindelig wurde.
    Die Titelgeschichte dieses Buches ist schließlich ein Porträt von Cesar Millan, der als der »Hundeflüsterer« bekannt ist. Mit einer einfachen Berührung kann Millan die wütendsten und ängstlichsten Tiere beruhigen. Was geht dabei in Millans Kopf vor? Diese Frage war der Anstoß für diese Geschichte. Doch während meiner Recherche stellte sich mir eine noch sehr viel interessantere Frage: Was geht bei der Begegnung mit Millan im Kopf des Hundes vor? Das ist es doch, was wir wirklich wissen wollen: was der Hund sah.
3.
    Ich werde oft gefragt, woher ich meine Ideen nehme. Meine Antworten fallen häufig sehr unbefriedigend aus. Meist erkläre ich vage, dass mir jemand etwas erzählt hat, dass mir mein Herausgeber Henry ein spannendes Buch gegeben hat, oder einfach, dass ich mich nicht erinnere. Bei der Auswahl der Artikel für dieses Buch habe ich mir vorgenommen, diese Frage für mich selbst zu beantworten. In einer langen und etwas exzentrischen Geschichte gehe ich beispielsweise der Frage nach, warum Heinz-Ketchup bis heute unübertroffen ist. (Wie fühlt es sich an, wenn wir Ketchup essen?) Die Anregung dazu kam von meinem Freund Dave, der in der Lebensmittelbranche tätig ist. Wir gehen gelegentlich essen, und ihn treiben solche und ähnliche Fragen um. (Dave hat auch eine faszinierende Theorie über Melonen aufgestellt, die ich mir für eine spätere Geschichte aufgehoben habe.) In »Farbe bekennen« geht es um die Vorreiterinnen auf dem Markt für Haarfärbemittel. Eigentlich wollte ich einen Artikel über Shampoos schreiben (ich muss damals händeringend nach einem Thema gesucht haben). Nach zahllosen Interviews sagte ein entnervter Friseur an der Madison Avenue zu mir: »Was haben Sie nur mit Ihrem Shampoo? Haarfärbemittel sind doch viel interessanter!« Und er hatte Recht.
    Um eine Idee für einen Artikel zu finden, muss man nur überzeugt sein, dass hinter allem eine Geschichte steckt. Ich sage »nur«, doch das ist gar nicht so einfach. Als Menschen gehen wir nämlich instinktiv davon aus, dass die meisten Dinge uninteressant sind. Wir zappen uns durch die Fernsehkanäle und schalten zehnmal weiter, ehe wir uns für eine Sendung entscheiden. Wir gehen in einen Buchladen und nehmen zwanzig Bücher in die Hand, ehe wir eines kaufen. Wir filtern, ordnen und urteilen. Das geht gar nicht anders. Es gibt einfach zu viel.
    Aber als Autor muss man sich diesem Instinkt Tag für Tag widersetzen. Shampoo ist langweilig? Verdammt noch mal, es muss doch interessant sein, und wenn nicht, dann muss ich einfach fest daran glauben, dass es mich irgendwann auf irgendetwas Interessantes stößt. (Ich überlasse es Ihnen, zu beurteilen, ob das wirklich stimmt.)
    Um Ideen für Geschichten zu finden, muss man außerdem klar zwischen Macht und Wissen unterscheiden. Die wenigsten der Menschen, denen Sie in diesem Buch begegnen, sind mächtig oder berühmt. Wenn ich eben geschrieben habe, dass ich mich für kleine Genies interessiere, dann meine ich genau das. Auf der Suche nach einer guten Geschichte fängt man nicht oben an, sondern in der Mitte, denn im wirklichen Leben machen die Leute in der Mitte die eigentliche Arbeit. Mein Freund Dave, der mich auf den Ketchup brachte, ist so jemand. Er hat mit Ketchup gearbeitet, und deswegen kennt er sich aus. Die Leute, die oben stehen, überlegen sich
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