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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah
Autoren: James Kimmel
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Seidenkostüme oder grobe Baumwolle und Leinen?
    Ich erinnere mich nicht. Ich erinnere mich, dass ich eine Frau war, was mehr als nur der Erinnerung an einen Schoß und Brüste entspricht. Nur einen Moment lang erinnerte ich mich in linearer Abfolge an alle Momente, die mit Schoß und Brüsten begannen und auch dort endeten. Doch diese Erinnerungen gehen zunehmend verloren wie Ballast, der von einem vom Sturm gepeitschten Schiff abgeworfen wird.
    Ich erinnere mich, die Türen aufgeschlossen und den Gerichtssaal betreten zu haben, um die Seele von Otto Rabun-Bowles zu präsentieren. Dort traf ich das Wesen aus dem Monolithen, das mir allerdings den Zugang zum Stuhl des Präsentatoren verweigerte.
    »Hier entlang«, sagte es und zeigte zum Monolithen.
    In der Saphirwand öffnete sich ein Spalt, durch den ich trat. Dort stieg ich mehrere Stockwerke eine Treppe hinauf bis zur dreieckigen Öffnung ganz oben, durch die nichtexistentes Licht drang. Ich trat auf einen kleinen Balkon, von dem aus ich den glitzernden Bernsteinboden des Gerichtssaals unter mir und andere, ähnliche Gerichtssäle mit Tausenden von Saphirmonolithen sah, die sich bis zum Horizont und darüber hinaus wie Kamine über der Silhouette einer Stadt erhoben.
    In einem dieser Gerichtssäle in der Nähe von meinem erhob sich Mi Lau, das vietnamesische Mädchen, von ihrem Stuhl als Präsentatorin, hob ihre Arme und verkündete:
    »Ich präsentiere Anthony Bellini … er hat entschieden!«
    Die Energie aus den Wänden ihres Gerichtssaals durchdrang sie und schwemmte einen schmutzigen Tunnel unter einem Dorf, meinen Onkel Anthony, eine Handgranate und eine erschreckende Explosion herein. Das Wesen aus dem Monolithen beendete die Präsentation, als sich Onkel Anthony eine Waffe an den Kopf hielt und abdrückte. Doch Gott richtete nicht vom Balkon aus über Anthony Bellinis Seele. Gott war gar nicht da, um zuzusehen. Der Balkon war leer.
    In einem anderen Gerichtssaal in der Nähe erklärte Hans Stössel:
    »Ich präsentiere Amina Rabun … sie hat entschieden!«
    Diese Präsentation hatte ich bereits gesehen und kannte das Ende. Wieder blieb der Balkon leer. Niemand hörte Hans Stössels Rufe nach Gerechtigkeit aus der israelischen Gefängniszelle.
    In noch einem anderen Gerichtssaal hob die junge Bette Rabun ihre Arme und rief:
    »Ich präsentiere Vasily Petrov … er hat entschieden!«
    Der Gerichtssaal verwandelte sich in das Schlafzimmer der kleinen Bette in Kamenz, wo Vasily ihr die Arme nach unten hielt, während ein anderer sowjetischer Soldat sie schlug und vergewaltigte. Niemand stand am Balkon des Monolithen, um das Verbrechen mitanzusehen oder den Gefangenen zu verurteilen.
    In einem anderen Gerichtssaal hob Elon Kaluzhsky seine Arme und rief:
    »Ich präsentiere Samar Mansour … er hat entschieden!«
    Der Expressbus Nr. 35 donnerte in den Gerichtssaal, Schüsse und eine Explosion hallten von den Wänden wider. Auch hier blieb der Balkon leer. Niemand verfolgte die letzten schrecklichen Augenblicke von Elon Kaluzhskys Leben.
    Aus dem Gerichtssaal hinter mir ertönte Luas’ Stimme:
    »Ich präsentiere Nero Claudius Cäsar … er hat entschieden!«
    Ich drehte mich um. Luas wurde in Ketten vor Nero geführt. Auf Geheiß des Kaisers hob ein römischer Soldat sein Schwert und enthauptete ihn. Luas’ kahler, blutiger Kopf rollte vor die Füße des Kaisers, der ihn fortstieß und seinen Bediensteten bedeutete, den Dreck wegzuputzen. Das Wesen aus dem Monolithen beendete die Präsentation, und Luas verließ den Gerichtssaal. Niemand sah vom Balkon aus zu, und niemand verurteilte Nero für sein Verbrechen.
    Kurz darauf erschien Luas in meinem Gerichtssaal, begleitet von Samar Mansour. Sie nahmen auf den Beobachterstühlen Platz. Samar Mansour blickte sich fasziniert und ehrfürchtig um, wie auch ich es beim ersten Mal getan hatte.
    »Brek Cuttler wird den Fall von Otto Bowles präsentieren«, flüsterte Luas.
    »Ich bin hier oben!«, rief ich zu Luas hinunter, doch er hörte mich nicht.
    Dann betrat Haissem den Gerichtssaal, der Junge, der die Seele von Toby Bowles präsentiert hatte. Luas war sichtlich enttäuscht wie bei meinem ersten Besuch, als Toby nicht aufgetaucht war, um den Fall seines Vaters zu präsentieren.
    »Ach, du bist’s nur, Haissem«, begrüßte Luas ihn mit einem Stirnrunzeln. »Wir hatten eigentlich Miss Cuttler erwartet … Na ja, wir sind jedenfalls da. Haissem, das ist Samar Mansour, mein neuster Anwalt. Samar, das ist
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