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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert
Autoren: Joern Klare
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gut vorstellen kann, daß das mit dem Auslosen nicht immer geklappt hat.
    –   Aber was heißt das in bezug auf das Gesundheitswesen?
    –   Wenn man die Kassenbeiträge nicht beliebig steigen lassen will, kann es auch hier so weit kommen, daß die Ansprüche eingeschränkt werden müssen. Man darf aber nicht einfach nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis verfahren, das heißt nach dem Motto »für Patienten mit dieser teuren Krankheit wäre das zwar sehr wichtig, aber für die Versichertengemeinschaft rechnet sich das nicht«. Einzelne Personen oder Gruppen von Personen dürfen nicht von vornherein als Systemverlierer feststehen – zum Beispiel weil sie wie die Bluter von Geburt an eine teure Krankheit haben.
    Grundsätzlich, sagt sie, könnte die Versichertengemeinschaft durchaus entscheiden, zum Beispiel bestimmte sehr teure Krebstherapien nicht mehr zu finanzieren, die das Leben nur um ein paar Wochen verlängern.
    –   Hier gibt es eine Art Chancengleichheit. Krebskrank kann grundsätzlich jeder werden, aber ein Bluter ist man oder ist man nicht. Da hätte man von vornherein den Stempel des Verlierers auf der Stirn.
    –   Sollte, davon einmal abgesehen, auch in extrem teuren Fällen immer alles bezahlt werden?
    –   Nein, es muß nicht grundsätzlich immer alles bezahlt werden. Niemandem ist geholfen, wenn das ganze System zusammenbricht.
    Das Gesundheitssystem ist aber kein starres Konstrukt. Auf der Basis politischer Entscheidungen ist das Budget grundsätzlich erst mal flexibel.
    –   Aber nicht unbegrenzt. Wenn es knapp wird, dann darfman nicht gezielt Patienten mit teuren Krankheiten die Chancen nehmen. Schon gar nicht mit der Begründung, es sei »rational«, die Mittel hinsichtlich eines maximalen Nutzens, also möglichst viel Gesundheit, möglichst viele QALY s, einzusetzen. Die Frage bei dem Nutzen ist doch, für wen das nützlich ist? Die Antwort lautet in so einem Fall: für die mit den billigeren Krankheiten! Den anderen, den »Teuren«, entzieht man die Solidarität. Wer das wirklich will, der sollte das offen sagen, anstatt es im ökonomischen Fachjargon zu verstecken und vom »optimalen« Einsatz der Mittel zu reden. Da unterschlägt man die Verlierer, und für die ist das ganz und gar nicht optimal.
    Auch als Lübbe schon längst gegangen ist, bin ich noch beeindruckt. Keine Gratwanderung zwischen » A « und » B «. Ihre klare Analyse, ihre deutliche Absage an den Versuch, die komplexen Fragen zu unserem gesellschaftlichen Selbstverständnis mit dem Taschenrechner und den Scheingewißheiten mathematischer Formeln beantworten zu wollen, gefällt mir. Bei den Gesundheitsökonomen, vermute ich, ist Lübbe eher weniger beliebt.

43.
»Ich will kein Leben kaufen.«
Ein kurzes Gespräch über den Tod
    Dem Lebensgefährten meiner Mutter geht es schlecht. Er ist über 80 Jahre alt und schon seit längerer Zeit herzkrank. Seine Ärztin hat angedeutet, daß er in den nächsten Wochen sterben könnte. Auch wenn sich das zum Glück später als eine Art »Fehlalarm« herausstellen wird, wirkt er bei meinem Besuch deprimiert. Er interessiert sich nicht einmal mehr für die Börsenkurse, was aber angesichts der zu diesem Zeitpunkt dramatischen Wirtschaftlage eine kluge Entscheidung ist. Lieber beschäftigt er sich mit eher grundsätzlichen Fragen. Vielleicht können seine Antworten mir weiterhelfen. Eine etwas heikle Situation. Ich probiere es trotzdem.
    –   Was, glaubst du, ist ein Mensch wert?
    Ein Aufblitzen in seinen müden Augen. Doch die Frage scheint ihn nicht zu überraschen.
    –   Mehr als ein Hund. Aber kann ein Mensch das überhaupt einschätzen? Gott könnte eine Antwort geben.
    Er macht eine Pause, denkt nach.
    –   Im Krieg haben alle auf Gott geschossen. Alle dachten, Gott wäre auf ihrer Seite, und so haben alle auf Gott geschossen. Die Amerikaner, wir – alle liefen um ihr Leben. Was ist ein Mensch wert? Man ist so wertvoll, wie man sich selbst fühlt. Was man für andere geleistet hat. Es gibt soviel Elend.
    Er greift nach seinen Medikamenten.
    –   Die Antwort liegt in der eigenen Zufriedenheit.
    –   Und was würdest du für ein weiteres halbes Lebensjahr bezahlen?
    –   In diesem Zustand? Keinen Pfennig. Mir reicht’s. Und was soll denn das für eine Summe sein? 30   000, 50   000, 100   000 Euro? Ich kann das nicht bewerten. Ich will das auch nicht. Der Gedanke, daß man Leben kaufen kann – nein, das will ich nicht.
    Im Vorbeigehen mischt sich
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