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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert
Autoren: Joern Klare
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weiteren Recherchen dazu stoße ich auf Weyma Lübbe, eine Philosophieprofessorin aus Regensburg, die sich in ihren Forschungen schon seit Jahren intensiv mit den Fragen der Verteilungsgerechtigkeit beschäftigt. Ich schicke eine freundliche Mail, bekomme eine freundliche Antwort und einen Termin im Anschluß an eine Sitzung des Deutschen Ethikrates, dem auch Frau Lübbe angehört.

42.
Philosophie II : »Das Leben ist ein Rechtsgut und kein Wert«, sagt Weyma Lübbe
    Weyma Lübbe ist Ende Vierzig und wirkt so entspannt und gesund, als käme sie gerade von einer schönen Bergtour. In einem Café am Gendarmenmarkt erzähle ich ihr von meinen Recherchen und den vielen Zahlen. Manchmal nickt sie, manchmal runzelt sie die Stirn. Nicht alle Rechnungen findet sie verwerflich. Wichtig ist ihr vor allem, wer den Wert für wen berechnet. Daß meine Tochter für mich einen anderen Wert hat als mein Nachbar, findet sie legitim. Wenn eine Firma das Humankapital ihrer Mitarbeiter berechne, könne man im Grunde auch nichts dagegen sagen, solange der Respekt erhalten bleibe und nicht gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Der Staat aber, und darauf kommt es ihr an, habe solche Kalkulationen zu unterlassen. Als ich bei den Problemen mit den QALY s ankomme, unterbricht sie.
    –   Gerechtigkeit ist keine Maximierungsaufgabe.
    Klingt gut, aber was heißt das?
    –   Ökonomen denken in Werten. Auch oder vor allem, wenn es um schwierige Entscheidungen geht. Sie sprechen dann gern von den »Opportunitätskosten«, also dem entgangenen Nutzen. Das heißt, wenn man hohe Summen für teure Behandlungen ausgibt, fragen sie: Was hätte man mit dem Geld statt dessen machen können? Wo hätte man es besser, also »produktiver«, investieren können? Aber die versicherten Kranken, um die es bei den QALY s geht, sind kein Vehikel der Wertmaximierung.
    –   Was sind sie dann?
    –   Sie sind Rechtssubjekte. Das Leben ist ein Rechtsgut und kein Wert, den die Gesellschaft oder die Versichertengemeinschaft zu berechnen hat.
    »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich«, lautet der erste Absatz des dritten Artikels unseres Grundgesetzes.
    –   Es kann nicht darum gehen, mit begrenzten Mitteln möglichst viel Wertvolles, in diesem Fall möglichst viel Gesundheit oder möglichst viele Menschenleben zu kaufen.
    –   Warum nicht?
    –   Weil das zu einer Ungleichbehandlung der Versicherten führt. Man diskriminiert auf diese Weise Patienten mit sogenannten »teuren Krankheiten«.
    Wobei »teure« Krankheiten ja auch oft deswegen teuer sind, weil sie seltener vorkommen und daher für die Pharmaindustrie wirtschaftlich uninteressant sind. Das heißt, es wird wenig geforscht, die Chancen, eine preiswerte Therapie zu finden, sind entsprechend klein, die Forschungskosten sollen aber auf einem kleinen Markt wieder eingespielt werden, was die Behandlung des einzelnen Patienten eben sehr teuer machen kann.
    –   Die knappen Ressourcen dürften bei denen ja konsequenterweise gar nicht eingesetzt werden, weil da ja in bezug auf die Investition nur wenig Gesundheit gewonnen wird. Oder nehmen Sie Behinderte, die sind ökonomisch betrachtet schlechtere » QALY -Produzenten«, weil sie die hinzugewonnenen Lebensjahre gar nicht so gesund verbringen können wie Nichtbehinderte. Behinderte, um bei dem Beispiel zu bleiben, haben aber den gleichen Rechtsanspruch auf Versorgung. Und der ist ganz unabhängig davon, wieviel Gesundheit man mit demselben Geld bei Nichtbehinderten produzieren könnte.
    Sie lächelt.
    –   Das Leben ist schließlich ein Rechtsgut, und von den Juristen wissen wir, daß man Leben nicht addieren kann.
    –   Und wenn es knapp wird?
    –   Wenn man mit den Rechtsansprüchen in eine Knappheitslage gerät, in der sie nicht alle erfüllt werden können, dann muß man die Ansprüche eben auf gerechte Weise umdefinieren.
    Als Beispiel führt Lübbe ein sinkendes Segelboot an. Die Rettungsinsel hat nicht genug Plätze, deshalb können nicht alle gerettet oder, wie sie sagt, »alle Ansprüche befriedigt« werden. Ein drastisches Verteilungsproblem, die Frage der Verteilungsgerechtigkeit stellt sich hier sehr konkret. In so einem Fall, sagt die Philosophin, müßten sich die Ansprüche der einzelnen Segler in gleiche Chancen auf einen Platz auf der Rettungsinsel verwandeln. Das könnte man beispielsweise auslosen. Historisch, so Lübbe, sei das oft auch so gemacht worden. Ein anschauliches Beispiel, obwohl ich mir
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