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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert
Autoren: Joern Klare
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Sekretärin eine Stunde Gesprächszeit herausschlagen können. Er sagt, das, was er mache, sei so was wie »Wassergymnastik im Haifischbecken«. Er ist dabei ganz ruhig. Ich erzähle ihm von meinen Recherchen, meiner Frage, was der Mensch wert ist. Er nickt, lächelt und stellt klar, daß es ja immer darum gehe, für wen der Mensch was wert sei.
    –   Ich bin sicher, daß meine persönliche Existenz für viele einen negativen Wert darstellt.
    –   Für wen haben Sie denn einen negativen Wert?
    –   Etwa für diejenigen, die einen ungehinderten Zugang zum Verkauf von Pharmaka in Deutschland anstreben. Oder von Ärzteorganisationen, die sagen, ein Arzt muß ohne Kontrolle machen dürfen, was er für richtig hält.
    Ein Beispiel, warum das IQW i G und damit auch Sawicki immer wieder Ärger mit der Pharmaindustrie, den Ärzten, aber auch Patientenverbänden haben, ist die Diskussion um die sogenannten Analoginsulina für Diabetiker. Dabei handelt es sich um gentechnisch hergestellte Varianten des normalen Insulins, die den Alltag von Zuckerkranken laut Pharmaindustrie erheblich erleichtern sollen, weil keine lästige Zeitspanne zwischen Insulinspritze und Nahrungsaufnahme eingehalten werden muß. Allerdings sind die neuen Präparate bis zu 60 Prozent teurer als vergleichbare Humaninsuline. Der Deutsche Diabetiker Bund empfahl die neuen Analoginsulina, die Ärzte verordneten sie, Pharmafirmen wie Sanofi-Aventis, Lilly und Novo Nordisk machten einen entsprechenden Umsatz: über 400 Millionen Euro jährlich allein in Deutschland. Weltweit hofften einzelne Hersteller wie Sanofi gar auf bis zu drei Milliarden Euro Umsatz mit solchen Präparaten. Die Gutachter des IQW i G konnten allerdings keine Beweise für einen zusätzlichen Nutzen gegenüber den herkömmlichen Medikamenten feststellen. Sie bezeichneten die beworbenen Vorzüge als Legende und die Analoginsulina insgesamt als unwirtschaftlich. Daraufhin drohte die Industrie mit Arbeitsplatzabbau und Investitionsstopp, der Deutsche Diabetiker Bund sammelte 180   000 Unterschriften, und auch ärztliche Fachgesellschaften und pharmafreundliche Professoren protestierten energisch. Trotzdem wurden die neuen Präparate 2006 mit wenigen Ausnahmen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gestrichen. Und plötzlich waren die Hersteller bereit, ihre Preise erheblich zu senken. Im Sommer 2009 wurden schließlich Studien publik, die ein erhöhtes Krebsrisiko bei Verabreichung von Analoginsulina nahelegen.
    –   Wert ist immer abhängig von der Person, der Zeit, den Umständen und so weiter.
    Sawicki ist noch bei der Menschenwertfrage.
    –   Es gibt für den Menschen keinen absoluten Wert. Aber den bräuchten wir ja, wenn wir damit rechnen sollen. Und das betrifft die Bewertung von QALY s. Da pendeln die Schwellenwerte weltweit zwischen 20   000 Dollar und 100   000 Dollar. Das ist ein Unterschied um das Fünffache. Wie soll das möglich sein?
    –   Sind Sie das letzte Bollwerk gegen die radikale Ökonomisierung des menschlichen Lebens oder zumindest seiner Gesundheit?
    –   Nein.
    Er lächelt immer noch.
    –   Wir versuchen nur, mit zuverlässigen Methoden Fragen zu beantworten. Diese Diskussion um den Wert des Lebens ist doch vom Markt abgeleitet. Die Leute werden gefragt, was sie bereit sind zu zahlen. Wie bei Schuhen –
    Er schaut auf seine.
    – oder einem Aufnahmegerät.
    Er schaut auf meins.
    –   Aber das hat doch alles keinen Wert mehr, wenn man seine Existenz verliert. Mit dem Tod endet die Bedeutung des Materiellen. Das heißt, die Verlängerung des Lebens müßte mehr wert sein als alle materiellen Dinge zusammengenommen.
    Klingt logisch. Aber ich denke an Breyer, die Gesundheitsökonomen, die explodierenden Kosten, die begrenzten Mittel, den drohenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems, daran was ich, mein Leben, ein Jahr davon wert sein könnten. Und schon mache ich mir doch ein wenig Sorgen.
    –   Aber irgendwann wird doch das Geld knapp?
    –   Das dauert noch.
    Ich ahne, daß sein Lächeln ein Dauerlächeln ist. Doch tatsächlich ist das Problem der Finanzierung im Gesundheitswesen bei genauerer Betrachtung nicht ganz so zwangsläufigkatastrophal, wie es bisweilen dargestellt wird. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt stieg beispielsweise von 1994 bis 2007 um überschaubare 0,2 Prozent auf 10,4 Prozent. Experten wie etwa der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach verweisen auf
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