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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert
Autoren: Joern Klare
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Bioladen ein und bevorzuge fair gehandelte Produkte. Manchmal spende ich Geld für gemeinnützige Organisationen. Ich habe einen Marathon durchgestanden. Viele der Themen, mit denen ich mich als Journalist beschäftige, haben einen »sozialen Anspruch«. Manchmal bekomme ich Lob von einem Leser oder Hörer. Einmal habe ich auch einen Medienpreis bekommen. Wenn es gut läuft, verdiene ich 3000 Euro im Monat. In Berlin-Kreuzberg ist das viel Geld.
    Alles Dinge, die mir ein gutes Gefühl verschaffen. Zumindest ziemlich oft. Nicht immer. Denn auf der anderen Seite sind da die zurückgehenden Haare, der vordrängende Bauch, der überforderte Rücken – kurz: ich bin 46 Jahre alt. Da wird so was schon ein Thema. Ich meine das Selbstwertgefühl. Ich meine die Midlife Crisis. Die ist noch nicht da. Nein. Wahrscheinlich kommt die auch gar nicht. Aber wenn sie vielleicht mal kommen sollte , kann ich sie nicht durch ein neues Cabrio und will ich sie nicht durch eine jüngere Frau verdrängen. Da könnte also ein wohlfundiertes und vielleicht gar monetär gesichertes Selbst- WERT -Gefühl von Vorteil sein. Denn natürlich weiß ich, daß gesellschaftlicher Status, Anerkennung und Wertschätzung sehr oft mit materiellen Fragen, also Besitz und Einkommen verknüpft sind. Wer viel verdient, wird, ob nun in der Bank oder beim Arzt, besser behandelt. So gese-hen könnte sich mein persönlicher Geldwert auch auf meinen persönlichen Selbstwert durchschlagen. Nur eine Hypothese. Aber vielleicht hilft es ja. Nach dem Motto: »Sehr geehrterHerr Hotelportier, ich bin zwar mit dem Bus gekommen, ich besitze auch nur die allereinfachste Kreditkarte, habe lediglich einen alten Rucksack, nehme bloß das billigste Zimmer, ABER – wissen Sie – ich selbst bin eine Million Euro wert!«
    Wobei – das nur am Rande – für den teuersten Hund der Welt, eine Tibetdogge, in China angeblich sogar 1,1 Millionen Euro gezahlt wurden.
    So oder so, ich meine »Wert« im ökonomischen Sinn, so wie der Begriff ursprünglich verstanden wurde. Seine philosophische Karriere begann erst Ende des 19. Jahrhunderts mit der modernen Axiologie, der Lehre von den moralischen Werten. Die beschäftigt sich mit den Wertungen, die der Mensch vornimmt, mit Wertgefühl, Wertrealismus und den »absoluten Werten«, die eine Kultur prägen und einer Gesellschaft Sinn und Bedeutung geben.
    Darum geht es mir nicht. Ich will das trennen, auch wenn ich schon ahne, daß das schwierig werden könnte.
    Also: Wieviel Euro bin ich wert?
    Meine spontane Antwort lautet »unendlich viel«. Theoretisch, denn praktisch wird das schwierig. Ich habe nicht unendlich viel Geld. Nicht für mich, nicht für meine Familie und auch nicht für ein Mädchen aus Mazedonien. Dann also »alles was ich habe«. Zumindest für mich und meine Familie. Und wenn das nicht reicht? Wo ist Schluß? Keiner, nicht mal Bill Gates oder der deutsche Staat haben unendlich viel Geld.
    Die 100   000 Euro für das mazedonische Mädchen kamen übrigens innerhalb einer Woche zusammen, und für die 24 Seeleute und ihr Schiff vor Somalia zahlte der Reeder schließlich etwa zwei Millionen Euro Lösegeld. Von daher waren die Seeleute billiger als das mazedonische Mädchen. Sogar wenn man das Schiff nicht mitrechnet. Das kann man natürlich nicht vergleichen. Oder?
    Je mehr ich mich mit dem klassischen Bankräuberslogan »Geld oder Leben« beschäftige, desto mehr Fragen drängen sich auf. Was heißt eigentlich »in eine Beziehung investieren«? Kann es zum Beispiel sein, daß es immer weniger anstrengende, kraftraubende Beziehungen gibt? Daß also weniger investiert wird? Oder sollte man sagen: daß klüger investiert wird? Ich meine Zeit, Kraft, Geduld und Energie. Wobei sich zumindest in den Zeiten der expandierenden beruflichen Selbständigkeit Zeit, Kraft, Geduld und Energie leicht in Geld umrechnen lassen. Wer kann oder will es sich noch leisten, langfristig energieraubende Auseinandersetzungen auszutragen, eine amour fou auszuleben? Okay, ein paar gibt es vielleicht noch. Ich kenne nur keine mehr. Das kann aber auch am Alter liegen.
    Andererseits fallen mir Situationen auf, in denen ich so was wie den Wert meines Lebens zumindest intuitiv schon längst berechne. Etwa beim Bergsteigen. Das mache ich gern. Früher war ich oft allein unterwegs und habe Sachen gemacht, die für einen Laien, der ich war und immer noch bin, sehr riskant, heute würde ich sagen: äußerst dumm waren. Ich habe Glück gehabt.
    Wenn ich heute
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