Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert
Autoren: Joern Klare
Vom Netzwerk:
mit Ski an den Füßen durch die Berge steige, schließe ich mich einem Bergführer an. Das ist recht teuer, verringert aber potentielle Gefahren. Aber – jetzt kommt es – das Geld ist mir mein Leben wert. Also investiere ich ein paar hundert Euro in die Risikoreduktion, die ich mir von der Erfahrung des Bergführers erhoffe. Aber ist mein Leben deswegen nur ein paar hundert Euro wert? Sicher nicht.
    Das sind zu viele Fragen. Ich brauche Antworten. Der Entschluß steht fest. Die Projekte, die ich für die nächsten Monate geplant habe, sage ich ab oder verschiebe sie. Ich schreibe eine Liste. Wen könnte ich fragen? Denn abhängig davon, wen ich frage, werde ich, so meine dringende Vermutung, unterschiedliche Antworten bekommen. Aber vielleicht, so meine heimliche Hoffnung, gibt es auch eine Art Gesamtwert, einen Universalpreis, also meinen Universalpreis. Ich notiere Namen von Einzelpersonen und Institutionen. Die Liste ist lang und wird mit der Zeit noch länger. Recht häufig geht es dabei um Fragen der lebensnotwendigen Gesundheit, das heißt um die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die Bewertung von Behandlungsmethoden, die nötigen oder möglichen Einsparungen.
    Ich will wissen, was ich wert bin. Ich will Zahlen. Oder noch besser: nur eine Zahl. Und zwar möglichst genau und gern auch möglichst hoch. Das ist wichtig. Es geht ja, ich habe es angedeutet, auch ein bißchen um mein »Selbst- WERT -Gefühl«.
    Obwohl – hin und wieder kommt mir ein Zweifel, ein ganz kleiner Zweifel. Will ich es wirklich wissen? Will ich überhaupt einen monetären Wert, einen Preis haben? Und wie wird es sein, wenn ich ihn kenne? Wird dann jede Finanzkrise zur Identitätskrise? Und ist mein Selbstwert inflationsgeschützt?
    Doch Zweifel, das ist bekannt, dürfen einen Forscher nicht aufhalten. Im Gegenteil. Und was bin ich anderes als ein Marktforscher in eigener Sache?
    Und da ist noch etwas: Ein Verdacht, dem ich auf den Grund gehen möchte. Er betrifft die »Pekuniarisierung« der Gesellschaft, das Vordringen ökonomischer Prinzipien, monetärer Berechnungen und Bewertungen in Lebensbereiche, in denen wir diese Prinzipien gar nicht vermuten würden und vermutlich auch gar nicht wollen. Wenn im Geiste des Neoliberalismus anscheinend alles zur Ware und damit zu Geld gemacht werden kann und auch gemacht werden soll – was bedeutet das dann für den Wert des Menschen?

2.
Die erste Rechnung. Eine Warnung
    Ich beginne mit einer historischen Rechnung. Es ist, das kann ich jetzt schon sagen, die schlimmste aller möglichen Rechnungen. Man kann sie nicht verdrängen. Ich hatte nicht erwartet, daß sie so detailliert und laienhaft zugleich ist.

    Diese Kalkulation wurde im Jahr 1941 von der SS -Führung im Konzentrationslager Buchenwald vorgenommen. Der Kaufkraft einer Reichsmark aus dem Jahr 1939 entsprechen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 3,70 Euro. 1631 Reichsmark wären demnach 6034,70 Euro.
     
     
     
    * Die Abbildung stammt aus dem Buch: Walter Strand, Das KZ-Außenlager Schlieben – Das Verhängnis Tausender Frauen und Männer vor ihrer Befreiung, Herzberg: BücherKammer 2005, S. 52.

3.
»Alles was ich habe«, sagt meine Frau
    Der erste Weg führt mich zu meiner Liebsten. Wir leben seit zehn Jahren zusammen. Sie sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa, ich am Tisch. Vor mir Papier und Bleistift.
    –   Was bin ich wert?
    Sie läßt ihr Buch sinken, schaut mich fragend an.
    –   Wie?
    –   Also: Was bin ich dir wert?
    Der fragende Blick bleibt, sie überlegt.
    –   Sehr viel, natürlich.
    –   Mhm.
    –   Mhm.
    So kommen wir nicht weiter.
    –   Meinst du, wenn du entführt würdest oder so was?
    Genau. Die Richtung stimmt. Tatsächlich war ich als Reporter schon mal in Afghanistan, Pakistan, Kaschmir, Palästina oder in Regionen Südamerikas, wo man so was nicht absolut ausschließen kann.
    –   Ja, zum Beispiel wenn ich entführt würde.
    –   Also, mein Leben würde ich nicht für dich geben.
    –   Okay. Was dann?
    –   Na, eine Hand vielleicht. Dann könnte ich aber nicht mehr Klavier spielen.
    Ich bin gerührt. Es läuft gerade ganz gut bei uns. Ich bin diese Woche mit Kochen dran.
    –   Und ein Bein auch, glaube ich.
    Sie schaut unglücklich und ein wenig zweifelnd. Wahrscheinlich denkt sie gerade an ein Leben mit nur einer Hand und nur einem Bein. Und ich frage mich, welcher Entführer die andere Hand und das andere Bein wohl haben will
    –   Und was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher