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Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Titel: Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
Autoren: Cordwainer Smith
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unglaublich feine Nadel. Die besten Prager Hersteller chirurgischer Instrumente hatten sie gefertigt.
    Ein anderer Techniker näherte sich mit einer Rasierschüssel, einem Pinsel und einem scharfen Rasiermesser. Unter den Blicken von Gaucks erloschenen Augen rasierte er auf Rogows Schädel eine Fläche von vier Quadratzentimetern.
    Dann übernahm Cherpas. Sie schob den Kopf ihres Mannes zwischen Klammern und benutzte eine Mikrometerschraube, um die Vorrichtung so genau zu befestigen, dass die Nadel an der richtigen Stelle durch die Schädeldecke dringen würde.
    Die Arbeit führte sie geschickt und mit sanften, kräftigen Fingern durch. Sie ging zärtlich, aber auch energisch vor. Sie war seine Frau, aber sie war auch seine wissenschaftliche Mitarbeiterin und seine Kollegin im Sowjetstaat.
    Sie trat zurück und betrachtete ihre Arbeit. Dann schenkte sie ihm ein besonderes Lächeln, eines jener intimen vergnügten Lächeln, die sie gewöhnlich nur tauschten, wenn sie allein waren. »Ich glaube nicht, dass dir das jeden Tag behagen würde. Wir werden eine Methode finden, ins Gehirn vorzustoßen, ohne diese Nadel benutzen zu müssen. Aber sie wird dir auch jetzt keine Schmerzen zufügen.«
    »Spielt es eine Rolle, ob es schmerzt?«, gab Rogow zurück. »Dies ist die Stunde der Erfüllung für unsere ganze Arbeit. Hinein damit. «
    Gausgofer sah aus, als hätte sie gerne an dem Experiment teilgenommen, aber sie wagte es nicht, Cherpas zu unterbrechen. Cherpas, mit aufmerksam funkelnden Augen, streckte den Arm aus und zog an dem Hebel, der die spitze Nadel mit einer Abweichung von einem Zehntelmillimeter in die richtige Stelle stieß.
    Rogow sprach sehr konzentriert. »Ich habe nur einen kleinen Stich gefühlt. Du kannst nun den Strom einschalten.«
    Gausgofer konnte sich nicht mehr beherrschen. Schüchtern wandte sie sich an Cherpas. »Darf ich den Strom einschalten?«
    Cherpas nickte. Gauck beobachtete. Rogow wartete. Gausgofer legte den Kippschalter um.
    Der Strom war eingeschaltet.
    Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte Anastasia Cherpas die Laborgehilfen auf die andere Seite des Raumes. Ein paar von ihnen hatten ihre Arbeit unterbrochen und Rogow angestarrt, angestarrt wie dumme Schafe. Sie wirkten verlegen und drängten sich jetzt zu einer weißbekittelten Herde an der gegenüberliegenden Wand des Labors zusammen. Der feuchte Maiwind strich durch den Raum. Über allem lag der Geruch von Wald und Laub.
    Die drei beobachteten Rogow.
    Rogows Antlitz veränderte sich. Es wurde rot. Sein Atem ging so laut und schwer, dass er noch aus einer Entfernung von mehreren Metern zu hören war. Cherpas fiel vor ihm auf die Knie, die Augenbrauen in wortloser Neugier hochgezogen.
    Rogow wagte nicht zu nicken, nicht mit der Nadel in seinem Gehirn. Mit roten Lippen, mit heiserer und schwerfälliger Stimme sagte er: »Hört – noch – nicht – auf.«
    Rogow selbst begriff nicht, wie ihm geschah. Er meinte, ein amerikanisches Zimmer, ein russisches Zimmer oder einen Raum in den Tropen vor sich zu sehen. Er glaubte, Palmbäume zu erkennen – oder Wälder oder Tische. Er meinte, Gewehre oder Gebäude zu erblicken, Waschsäle oder Betten, Krankenhäuser, Bungalows, Kirchen. Er glaubte, mit den Augen eines Kindes zu sehen, einer Frau, eines Mannes, eines Soldaten, eines Philosophen, eines Sklaven, eines Arbeiters, eines Wilden, eines Gläubigen, eines Kommunisten, eines Reaktionärs, eines Regierenden, eines Polizisten. Er vermeinte, Stimmen zu hören; vielleicht Englisch oder Französisch oder Russisch, Swahili, Hindu, Malaysisch, Chinesisch, Ukrainisch, Armenisch, Türkisch, Griechisch. Doch er wusste es nicht.
    Etwas Seltsames geschah.
    Ihm schien , er hätte die Welt hinter sich gelassen, sogar die Zeit überwunden. Die Stunden und Jahrhunderte schrumpften wie die Entfernungen, und die Maschine, unerprobt, wie sie war, griff weit aus nach dem mächtigsten Signal, das je ein Menschengeschlecht gegeben hatte. Rogow wusste es nicht, aber die Maschine hatte die Zeit besiegt.
    Die Maschine erreichte den Tanz, die menschliche Herausforderung, und das Tanzfestival des Jahres, das nicht als das Jahr 13.582 bezeichnet wurde, es aber hätte sein können.
    Vor Rogows Augen zitterten und flatterten die goldene Gestalt und die goldenen Stufen in einem Ritual, das tausendfach überwältigender war als Hypnose. Der Rhythmus bedeutete ihm nichts und gleichzeitig alles. Er war russisch, er war kommunistisch. Er war das Leben – und es
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