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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah
Autoren: Martha Grimes
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gönne man ihr eine kurze Atempause. Ja, versicherte sie ihm, sie würde ihn anhören. Wenn sie ihn nicht ansah, wenn sie sich auf das Dock da drüben konzentrierte, dann gelang es ihr vielleicht, sich davon zu überzeugen, daß dies nicht wirklich geschah. Über diese Reihe kleiner Boote hinaus hatte sie keine Zukunft. Sie fragte sich, ob sie überhaupt eine Vergangenheit hatte. Alles war unwirklich. »Was waren das für Sachen, Wade?« fragte sie wieder im Konversationston, während ihre Finger das blaue Kleid falteten.
    Wade schlug die Beine übereinander, räusperte sich, als wolle er es sich gemütlich machen und seine Stimmbänder vorbereiten.
    »Sie haben mich und Eunice nicht besonders gut gekannt.«
    Nein, hatte sie nicht. Ihre Zunge war belegt. Er hatte sein eigenes Kind ermordet.
    »Wir waren so miteinander.« Er hielt zwei Finger eng aneinander. »Viel mehr als ihre Mutter und sie. Jaaa, Eunice und ich, wir ham uns verstanden. Das Problem war nur, daß sie dann angefangen hat rumzuhuren.«
    Es versetzte ihr einen Schock, wie er das sagte, in was für einem ruhigen und gemessenen Ton. Mauds Haar war wie eine Mütze aus Schweiß; ihre Kopfhaut kribbelte. Sie mußte ihr Entsetzen verbergen.
    »...hat rumgehurt und is schwanger geworden.« Er verschluckte das »r«, sagte »schwangä«. Seine Stimme, die vorher fast kehlig geklungen hatte, wurde hoch und dünn und kreischte wie eine Säge, als er mit der Faust auf die Lehne des Aluminiumstuhls schlug. »So was kann man nich durchgehn lassen, nich im eignen Haus - nich beim eignen Fleisch und Blut.«
    Sie spürte die Hitze, die von ihm ausstrahlte; es war wie die schimmernde Hitze, die manchmal Fata-Morgana-ähnlich von sonnendurchglühten Flächen aufsteigt - von einer Straße, von der Wüste. Sie mußte ihm antworten: »Nein. Nein, das geht nicht, Wade.« Sag immer wieder seinen Namen! Hörte er sie überhaupt? Wußte er überhaupt, wo er war?
    »Eunice, die wär so eine geworden wie diese Loreen Butts oder diese Tony, wie heißt sie schnell wieder?«
    Er hatte es vergessen. Maud schloß die Augen. Er hatte den Namen vergessen, als wäre Tony bloß irgendeine verstorbene Bekannte, die er aus den Augen verloren hatte, eine, die er flüchtig gekannt hatte.
    »Haben Sie Loreen Butts mal kennengelernt?« Er sprach in einem beiläufigen Plauderton, als sei er gerade auf dem Bürgersteig stehengeblieben, um ein bißchen zu tratschen.
    Nein. Das Wort kam nicht heraus; sie würgte daran, schluckte. Maud räusperte sich. »Nein«, sagte sie mit fester Stimme.
    Er wandte ihr das Gesicht zu. »Brütest du was aus, Maud? Du bist ganz verschwitzt. Gibt nix Schlimmeres als ’ne Sommererkältung.«
    Nichts Schlimmeres. Sie packte ihr Buch. Hinter ihr knackten Zweige. Sam.
    Es ist nicht Sam. Du hast kein Auto gehört. Vergiß Sam. Sie versuchte, Wades Stimme auszublenden. Er redete über Loreen Butts.
    »Die Sache war die, daß sie sich mit diesem Boy Chalmers eingelassen hat. Der is so schwul, wie ein Drei-Dollar-Schein falsch ist, das weiß jeder. Aber irgendwie isses schon in Ordnung, daß der Sheriff von Elton County ihn verhaftet hat. Den Boy Chalmers.«
    Wade beugte sich zu ihr herüber und spuckte auf die Bretter. »Typen wie der sollten nich frei rumlaufen. Überrascht mich gar nich, daß so’n Gesocks wie die Loreen Butts sich mit dem Boy Chalmers einläßt.« Jetzt kam er wieder auf Eunice zurück. »Die Sache is die, Eunices Mama hat einfach nich recht gewußt, wie sie sie erziehen soll, obwohl, versucht hat sie’s schon. Nich wie meine eigene Mama. Die hätten Sie mal kennenlernen sollen...«
    Diesen Engel von einer Mutter. Maud umklammerte ihr Buch - das blaue Kleid hing nun über der Stuhllehne - und lauschte seiner seltsamen, wirren Geschichte über seine so wunderbare, seine engelgleiche Mutter. Es war eine einzige Lüge. Wades Mutter war abgehauen, als er noch ein kleiner Junge war. Sam hatte das von Molly Hayden erfahren; sogar Molly, die sonst so verschlossen war, redete bei Sam.
    Wo war er nur? Kam er noch einmal zurück?
    »Frau Dr. Flooper.« Maud wußte nicht, daß sie es laut gesagt hatte, bis Wade sich zu ihr hindrehte, so, daß er ihr, als sei er starr vor Kälte, nicht nur den Kopf, sondern den ganzen Rumpf zuwandte.
    »Die Frau hat Sie an der Nase rumgeführt, nich wahr? Wahrscheinlich ham Sie, bloß weil sie Ärztin war, geglaubt, sie wär was Beßres als andere Leute? Kennen Sie die Briefe, die sie geschrieben hat? Tja, Sie hätten diese
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