Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
Baby einfach haben will. Dieses Messer war nicht viel mehr als eine Rassel. Wenn er es plötzlich in sie hineinstieß, würde es nur die Lichtpartikel durchdringen. Zum erstenmal in ihrem Leben fühlte Maud sich frei.
    Dennoch mußte etwas passieren. Sie wandte sich ihm zu und schaute ihn an. »Wade, ich glaub, für mich ist es jetzt Zeit, reinzugehen.«
    Er schmollte immer noch wie ein kleiner Junge. »Ich hab gedacht, wir könnten noch bleiben und ein bißchen reden.«
    »Vielleicht ein andermal.«
    Sie stand auf. Er bewegte sich nicht.
    »Ich muß die Sachen mit reinnehmen.« Maud zog die Flasche aus dem Eimer und schüttete das geschmolzene Eis aus. Wade schaute nur zu ihr auf und blinzelte, als müßten sich seine Augen erst an eine neue Dunkelheit gewöhnen. »Sie könnten mir helfen. Könnten Sie vielleicht den Stuhl zusammenklappen und ihn tragen?«
    Er stand langsam auf und seufzte ungeduldig. Noch immer das Messer umklammernd, klappte er den Aluminiumstuhl zusammen, und Maud zog an der Perlenschnur der Lampe. Sie standen im Dunkeln. Sie schaltete sie wieder ein, und da leuchteten das Messer, der Stuhl und der silbrige Kübelständer einen Moment lang im Mondlicht auf. Sie nahm den Ständer und griff nach der Lampe. »Könnten Sie die vielleicht auch nehmen?«
    »Ich denk schon«, sagte er in noch immer trotzigem Ton. Seine grobknochige Hand schloß sich um die Lampe.
    Maud sah ihn an, schaute auf das jämmerliche und ziemlich alberne Bild, das sich ihren Augen bot. Er stand da, hielt den Stuhl unterm Arm, mit derselben Hand umklammerte er auch das Messer und mit der anderen die Lampe, die er an ihrem schmiedeeisernen Fuß hielt. Er blinzelte ins Licht und wollte gerade mit Daumen und Zeigefinger wieder an der Schnur ziehen.
    Sie schüttelte den Kopf. Es war so traurig und so simpel. Es war völlig unmöglich, daß er sein seelisches Gleichgewicht behielt, dachte sie, als sie plötzlich mit dem Kübelständer ausholte und ihn damit an der Schulter streifte.
    Wade schwankte, guckte überrascht und verwirrt. Dann kippte er rückwärts in den See. Es machte einen furchtbaren, entsetzlichen Knall, und sie schloß die Augen und hielt sich die Ohren zu.
    Maud stand mit fest zusammengekniffenen Augen da, als sie plötzlich etwas Weiches an ihrem Fußgelenk spürte. Sie schaute hinunter und sah, daß die schwarze Katze, die sich eben noch an ihren Beinen gerieben hatte, jetzt zum hintersten Ende des Piers geschlichen war und den Kopf über den Rand reckte.
    Wenn die Katze das aushielt, dachte sie, dann konnte sie das auch, wenn auch ein getrübter Blick ganz hilfreich gewesen wäre. Gereizt beugte sie sich nach vorn. Sie wußte nicht, welchen Anblick sie sich erwartet hatte: Katastrophaleres als dies hier? Die Leiche von Wade Hayden trieb mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser, sein Arbeitshemd bauschte sich in die Höhe, als habe jemand Luft hineingepumpt. Die Lampe war natürlich verschwunden, aber als Memento war da noch der geblümte Schirm, der in der Nähe von Wades Kopf trieb... wie ein Faschingshut, der heruntergefallen war, als der alberne, besoffene Narr in den See stürzte.
    Draußen auf dem schwarzen Wasser schoß wieder ein Schnellboot vorbei. Und Maud, die in einen seltsamen Traum aus Tod und Wasser eintauchte, schaute, was sein Kielwasser wohl mit der Leiche anstellen würde, so als könne sie der Sog des Wassers vielleicht ins Meer hinausschwemmen. Der Körper bewegte sich kaum; der rosafarbene Lampenschirm hüpfte.
    Sie hob die Katze hoch, um sich selber zu trösten, und dachte: Warum hast du dich nicht einfach in Asche verwandelt? Hier sollte Asche verstreut werden. Tränen rannen ihr übers Gesicht und fielen auf das Fell der Katze; und die schrie und wand sich aus ihren Armen. Sie stand mit hängenden Armen da und starrte auf Wades Körper, den die kleinen Wellen sanft hin und her schaukelten.
    Jemand schien aus großer Ferne ihren Namen zu rufen. Sie erkannte kaum seinen Klang; und sie registrierte auch die anderen Geräusche hinter ihr - wegspritzender Kies, ein Motor, der abgeschaltet wurde, das Geräusch der zuschlagenden Tür - als etwas, das so fremd war wie ein Rascheln aus einem anderen Universum.
    »Maud? Maud? Bist du da? Was, zum Teufel, ist mit der Lampe passiert?«
    Sam kam auf das Pier gelaufen. Sie stand da und rang die Hände und sagte kein Wort.
    »Maud? Was ist -?«
    Der umgestürzte Stuhl, der umgefallene Kübelständer, die umgekippte Flasche... Er ging hinüber zum Rand.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher