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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Autoren: Michael Winterhoff
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sich das in der Realität auswirkt, zeigt das Beispiel von Sara, sieben Jahre alt.

Sara
    Sara ist die Tochter von Luise Falkenberg und der ganze Stolz ihrer Mutter. Vom Kleinstkindalter an hatte Frau Falkenberg eine klare Devise: Sara sollte selbstständig werden, eine eigene Persönlichkeit entwickeln und sich keinesfalls von anderen vorschreiben lassen, was sie zu tun oder zu lassen hat.
    Dementsprechend ist Sara immer voll und ganz in ihrer Autonomie gefördert worden, sie hat schon im Kindergartenalter selbstständig entschieden, was sie anzieht, zu welchen Zeiten sie essen wollte und was zum Essen auf den Tisch kommt. Auch ihre Spielkameraden wurden von ihr in jedem Fall selbst ausgewählt; wer vor ihren Augen keine Gnade fand, wurde nicht mehr eingeladen.
    Wenn Sara sich doch einmal an Regeln des Zusammenlebens im elterlichen Haushalt halten sollte, wurden diese in mühevoller Kleinarbeit gemeinsam erstellt und ausführlich diskutiert.
    In der Schule benimmt sich Sara ebenfalls sehr selbstständig. Allerdings sind die daraus entstehenden Situationen eher nicht dazu angetan, dass Frau Falkenberg stolz auf ihre Tochter sein könnte. Diese weigert sich nämlich häufig, ihre Hausaufgaben zu erledigen, auch die zum (von ihr gewünschten) Erlernen des Geigenspiels notwendigen Übungsstunden werden von ihr gerne boykottiert.

    Frau Falkenberg versteht jedoch nicht, woran diese Verweigerungshaltung liegen könnte und ist verzweifelt über die Verhaltensweise ihrer Tochter. Die reagiert grundsätzlich wütend auf Aufforderungen, die Hausaufgaben zu machen oder auf der Geige zu üben. Sie schreit ihre Mutter an, wird bisweilen sogar handgreiflich und schlägt oder tritt sie. Auch das Herumwerfen von Gegenständen gehört zu ihren bevorzugten Reaktionsweisen in Konfliktsituationen, vorrangig werden dabei Gegenstände zerstört, die der Mutter besonders lieb sind. Versuche von Frau Falkenberg, Sara zu etwas zu bewegen, werden von dieser grundsätzlich boykottiert.
    An diesem Beispiel wird klar, was geschieht, wenn Eltern wünschenswerte Selbstständigkeit ihrer Kinder damit verwechseln, ihnen keinerlei Regeln für ihr tägliches Verhalten an die Hand zu geben.
    Sara ist von klein auf daheim nicht gewöhnt gewesen, dass ihr irgendjemand sagt, was richtig und was falsch ist, was sie tun und was sie lassen soll. Ihre Eltern haben das im Sinne einer antiautoritären Erziehung für die beste Möglichkeit gehalten, ihre Tochter früh zu einer autonomen Persönlichkeit reifen zu lassen. Sie haben sich dabei jedoch nie gefragt, ob Sara überhaupt von alleine darauf kommen kann, dass sie Verantwortung nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Mitmenschen gegenüber zu tragen hat, dass also ein respektvoller Umgang mit anderen Menschen und deren Besitztümern sie selbst erst zum Menschen macht.
    Frau Falkenberg und ihr Mann glauben, Sara bei der notwendigen Hinführung zur Selbstständigkeit behilflich zu sein, merken jedoch nicht, dass ihre Tochter dabei ohne ein Bewusstsein dafür bleibt, dass Selbstständigkeit nichts mit Selbstbestimmung im Sinne einer »mit dem Kopf durch die Wand«-Mentalität zu tun hat. Indem sie Sara von Beginn an bedeutet haben, dass sie alle wichtigen Entscheidungen
in ihrem Leben selbst treffen könne, haben sie ihr die Möglichkeit verwehrt, Fremdbestimmung zu spüren und damit zu erlernen, was es bedeutet, in der Gruppe handeln zu müssen.

Über den normalen Umgang mit und die normale Entwicklung von Kindern
    Ich werde im Nachfolgenden oft davon sprechen, dass Erwachsene dem Kind gegenüber abgegrenzt auftreten sollten. Auf den ersten Blick begehe ich damit fast schon ein Sakrileg. Abgrenzung klingt für viele Elternohren nach Lieblosigkeit, kaltem autoritären Auftreten und Geringschätzung des Kindes. Um diesem Missverständnis von vornherein zu begegnen, möchte ich ein paar grundsätzliche Dinge vorab sagen.
    Der Umgang mit Kindern sollte immer liebevoll sein. Kinder brauchen unbedingt Zuwendung, etwa in Form von altersangemessenem Körperkontakt beim Kuscheln, in den Arm nehmen oder über den Kopf streichen. Vorlesen und spielen sind Grundvoraussetzungen für eine gesunde kognitive Entwicklung des Kindes. All diese wichtigen Dinge sind durch die Erkenntnisse, die ich hier zu vermitteln versuche, keineswegs in Frage gestellt.
    Das bedeutet: Wann immer es im Folgenden um
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