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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Autoren: Michael Winterhoff
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und würden ihrem Selbstverständnis nach alles dafür tun, glückliche und zufriedene Kinder heranzuziehen.
    Um einen Eindruck von einem typischen Elterngespräch zu bekommen, mag der Fall des zehnjährigen Sebastian dienen. Saskia Schulze, seine Mutter, erzählt im Interview von einem Gespräch beim Elternsprechtag, bei dem mehrere Lehrer sie darauf hinwiesen, ihr Sohn ließe besorgniserregende und korrekturbedürftige Lerndefizite erkennen.

    Frau Schulze, Sie erzählten, dass Sie letzte Woche zum Elternsprechtag in Sebastians Schule waren. Was haben die Lehrer Ihnen dort berichtet?
    Einige Lehrer haben mir von auffälligen Lerndefiziten meines Sohnes berichtet. Er sei unaufmerksam, habe Schwierigkeiten, Anweisungen des Lehrers zu befolgen und sei generell gegen Versuche der Lehrer, vernünftig mit ihm zu reden, immun. Das ist aber nichts Neues oder Ungewöhnliches.
    Sie kennen diese Hinweise also schon?
    Ja, Sebastian hat schon einige Zeit Probleme, in der Schule mitzukommen. Auch die Klagen der Lehrer, er interessiere sich nicht für ihre Anweisungen, habe ich schon häufiger vernommen.
    Beunruhigt Sie das?
    Naja, wissen Sie, natürlich wäre es schöner, er würde überall gut mitkommen. Aber als seine Mutter weiß ich auch, dass Sebastian auf eine eigene Art und Weise lernt und die Schwierigkeiten in der Schule vor allem daher rühren, dass seine Lehrer das nicht ausreichend berücksichtigen.
    Was heißt das genau?
    Man darf bei ihm auf gar keinen Fall irgendeinen Zwang oder Druck ausüben, sondern muss ihn seinen ganz eigenen Weg machen lassen. Er ist eben von seiner Persönlichkeit her so, dass es ihm schwerfällt, sich danach zu richten, wenn eine Person wie der Lehrer ihm einen Arbeitsauftrag quasi aufzwingt.
    In der Schule muss er aber doch lernen, im Klassenverband zu arbeiten und mitzukommen. Ist Ihnen das nicht wichtig?
    Wichtiger ist mir, dass er möglichst viel Spaß hat, denn nur
dann hat er auch Lust, zu lernen. Die Zwänge in der Schule, durch den Lehrer und den festgelegten Stoff, behagen ihm nicht, da ist es kein Wunder, dass er nicht vernünftig mitarbeitet.
    Wie beurteilen Sie denn die Hinweise seiner Lehrer auf die Lerndefizite?
    Sebastian kann sehr viel, das weiß ich, er zeigt es eben nur nicht so, weil er mit der klassischen Situation in der Schule nicht klarkommt. Ich vermute eher, dass seine Lehrer den Stoff nicht so erklären, dass er es versteht; zum Teil mag es auch an seinen Mitschülern liegen, die ihn stören.
    Die Defizite sind aber ja zweifelsohne vorhanden. Was wollen Sie denn dagegen unternehmen?
    Natürlich möchte ich Sebastian gerne helfen, damit er bessere Noten bekommt. Ich habe ihn jetzt bei einem Nachmittagsprogramm angemeldet, bei dem den Kindern das Lernen spielerisch beigebracht wird. Das dürfte für ihn genau das Richtige sein, weil dort der Spaß im Vordergrund steht.
    Sebastians Mutter wirkt von ihren Antworten her um ihren Sohn bemüht, sie macht sich Gedanken, wie die Lernschwierigkeiten ihres Sohnes behoben werden können, es ist ihr keinesfalls egal, was mit diesem in der Schule passiert. Selbst den erheblichen finanziellen und zeitlichen Aufwand mit dem Besuch der Nachmittagsschule scheut sie nicht, damit es nur Sebastian gut gehen möge.
    Ihre Antworten sind in mehrfacher Hinsicht typisch für solche Gespräche:
    - Die Verantwortung für die Schwierigkeiten des Kindes liegt bei den Lehrern.

    - Eigentlich ist das Kind ganz anders, zeigt es nur nicht.
    - Das Kind hat keinen Spaß und kann deshalb nicht zeigen, was es eigentlich drauf hat.
    - Mit dem Versuch, »fachkundige« Hilfe durch die Nachmittagsschule hinzuzuziehen, kann dem kindlichen Defizit Abhilfe geschaffen werden.
    Frau Schulze, wie auch andere Eltern in ähnlichen Situationen suchen oft händeringend nach Erklärungen für das Verhalten ihrer Kinder und geben sich alle Mühe, ihrer elterlichen Verantwortung gerecht zu werden. Und doch sitzen diese Familien irgendwann bei mir im Behandlungszimmer. Oft haben vorherige therapeutische Bemühungen, gleich welcher Natur keinen Erfolg gebracht, so dass eine psychiatrische Behandlung als der letzte Ausweg erscheint.
    Doch ist die Beschäftigung mit der menschlichen und in diesem Fall vor allem der kindlichen Psyche eben nicht dieser letzte Ausweg, sondern muss - ganz im Gegenteil - als Ausgangspunkt jeglicher weitergehender therapeutischer
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